Gastartikel: Neue Erfindung als Lösung von „Jagdproblemen“ beim Hund?


Der heutige Gastartikel von Alexandra Rosterg setzt sich mit einer neuen Erfindung im Bereich „Hundeerziehung“ auseinander:
 

Warum man einmal in sich gehen sollte und reflektieren sollte bevor man sich womöglich zum Kauf einer neu angepriesenen Erziehungshilfe für den Hund hinreißen lässt. 

Vor einigen Tagen erhielt ich ein Email von einer Bekannten. Im Anhang befand sich ein Artikel, der in einer renommierten Tageszeitung aus Süddeutschland veröffentlicht wurde. In diesem Artikel geht es um ein Hilfsmittel, was den Hund in einer Notsituation, so der Erfinder, vom Jagen abhalten soll. 

Bei der Erfindung handelt es sich um eine Art Halsband mit integrierter Feder, was dem Hund vor dem Spaziergang angelegt wird und in dem sich ein Stofftunnel befindet. Will nun der Vierbeiner, wie es auf dem Verkaufsvideo auf der Internetseite des Anbieters zu sehen ist, z.B. einem Jogger hinterherjagen, nachdem sein Adrenalinspiegel durch verbale Anfeuerung und Stöckchen werfen so richtig auf Touren gebracht wurde, wird per Knopfdruck auf eine Fernbedienung die Feder am Halsband ausgelöst und der Stofftunnel stülpt sich über den Kopf des Hundes.  

Meine Bekannte fragte mich in diesem Mail:“Was ich denn davon halten würde?“  

Meine kurze und knappe Antwort fiel wie folgt aus:“Gar nichts.“ 

Und das „gar nichts“ möchte ich wie folgt begründen: 

Das ein solches Hilfsmittel einem Hund nichts ausmachen würde, so wird diese jedenfalls vom Erfinder ausgeführt, ist schon bemerkenswert, denn wenn dies wirklich so wäre, dann würde sich der Hund bei der Jagd von so etwas sicherlich nicht stoppen lassen, denn Jagdverhalten zählt zu den instinktiv, genetisch fixierten Verhaltensweisen. Da dies aber der Fall zu sein scheint, macht es dem Hund sehr wohl etwas aus, denn der Hund bekommt Angst oder wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie auf einmal und unerwartet im Dunkeln stehen würden? Angst erzeugt Stress. Stress führt wiederum zu einer Schärfung der Sinne und geschärfte Sinne begünstigen Stress. Ein endloser Kreislauf beginnt. Keine schöne Vorstellung einem uns anvertrauten Lebewesen so etwas "an-zu-tun". 

Aber das ist noch lange nicht alles: Der Hund wird auch in eine Erwartungsunsicherheit gebracht, denn er weiß nicht wann und warum ihm die Haube über den Kopf gestülpt wird. Hierzu können Sie ein Experiment an sich selbst testen, aber bitte ohne, dass ein Hund anwesend ist: Bitten Sie einen Freund Sie zu erschrecken, z.B. durch das Aneinanderschlagen von zwei Topfdeckeln, wenn sie damit absolut nicht rechnen. Dieses Experiment sollte einige Stunden oder einige Tage andauern und der Schreckreiz sollte in diesem Zeitraum mehrfach ausgelöst werden - ohne dass Sie wissen, wann dies sein wird. Der eigentliche Reiz wird letztendlich nicht so schlimm zu ertragen sein, wie die aufreibende Warterei auf ihn. Man sehnt den Reiz schon förmlich herbei mit dem Wunschgedanken, womöglich danach wieder eine Weile Ruhe zu haben, dem aber nicht so ist, da er kurz nach dem Auftreten erneut ausgelöst wird und dann wieder über Stunden gar nicht. Wenn Sie darüber nachdenken, erzeugt dies sicherlich kein sehr angenehmes Gefühl in Ihnen. 

Ein weiterer Aspekt ist der, dass Hunde über gedankliche Verknüpfungen lernen. Was ist, wenn der Hund, in genau dem Moment, in dem sich der Stofftunnel über seinen Kopf stülpt, zu einem kleinen Kind, einem Jogger oder einem anderen Hund schaut - und den Strafreiz, wobei es sich hier handelt, damit verbindet? Er kann Ängste, womöglich auch durch die Angst ausgelöste Aggressionen, gegen das entwickeln, was er gerade sah. 

Oft treten auch Probleme bei der Technik auf. Nicht selten sind schon solche Hilfsmittel durch andere Frequenzen ausgelöst worden oder haben durch die Wetterlage erst gar nicht oder nur verzögert ausgelöst. Hat man auf die Fernbedienung gedrückt und es tut sich nichts, kommt man (vorausgesetzt der Hund hätte überhaupt verstanden, für was er eigentlich bestraft werden soll), in den Bereich der variablen Bestätigung, was das unerwünschte Verhalten sogar noch verstärkt. Der Hund lernt somit, dass er das Verhalten nur immer wieder zeigen muss, bis er schließlich wieder Erfolg hat, sprich das Ausbleiben des Strafreizes und die erfolgreiche Durchführung des Jagdverhaltens. 

Manche Vierbeiner kann man auf diese Art und Weise so sehr verunsichern, dass sie in die sogenannte Hilflosigkeit fallen. Diese Hunde zeigen dann kaum noch Aktionen oder bieten keine Handlungen mehr an, da sie in ständiger Angst vor dem nicht berechenbaren Strafreiz leben. Ein trauriger Gedanke, so ein Dasein fristen zu müssen ...... . 

Für mich ist es ethisch intolerabel ein uns anvertrautes Lebewesen wie den Hund für instinktiv, genetisch fixiertes Verhalten zu bestrafen und man sollte sich vor dem Einsatz eines solchen Ausrüstungsgegenstandes immer noch mal folgenden Spruch ins Gedächtnis rufen: „Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu.“  

Ein gut durchdachtes und klar aufgebautes Anti-Jagd Training, eine sinnvolle Beschäftigung, wie z.B. Nasenarbeit,  für den  Hund sowie Einfühlungsvermögen und Verständnis von Seiten des Halters führen sicherlich, auf lange Sicht hingesehen, zu einem nachhaltigeren Erfolg.  

Darüber hinaus sollte ein jagdlich motivierter Hund, der an der Schleppleine geführt wird,  immer ein gut sitzendes Brustgeschirr tragen, um, sollte der Hund mal in die Schleppleine laufen, Verletzungen , beispielsweise an der Halswirbelsäule, zu vermeiden. Natürlich obliegt es dem Halter, wenn der Hund beim Spaziergang an einer Schleppleine gehen muss, die Umwelt sowie den Hund sorgfältig zu beobachten und somit agieren zu können statt nur noch reagieren zu können (ein wichtiger Baustein eines erfolgreichen Anti-Jagd Trainings). Aber als oberstes Gebot gilt es Renn- und Hetzspiele, dazu gehören auch Ballspiele oder das Werfen eines Balles und das Hinterherjagen hinter diesem, zu unterlassen.

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