Wenn zuviel mit Hunden trainiert wird…

Die letzten Jahre hat sich einiges verändert – sicher begründet durch eine gesellschaftliche Entwicklung, die Perfektion und Anleitungen fordert und ein unüberschaubares Überangebot an Informationen bietet. Wodurch die Hundehalter sich genötigt fühlen, nur noch zu trainieren und das einfache, schöne Leben mit dem Hund darüber vergessen. Aber auch begründet durch Philosophien in der Hundeerziehung, die sich entgegen sämtlicher Erkenntnisse bzgl. Lernen und Verhalten von Caniden immer stärker an Rudeldenken und Strafe orientieren.

Zu hohe Ansprüche

In der heutigen Gesellschaft sind es die Menschen gewohnt, dass ihnen Entscheidungen abgenommen werden. Für jede Lebenslage gibt es Anleitungen. Alles soll perfekt sein, nichts wird dem Zufall überlassen oder mal nach dem Bauchgefühl entschieden. Das ist in allen Lebensbereichen so, natürlich auch im Bereich der Hundeerziehung. So kann ich in den letzten Jahren feststellen, dass der Hundehalter durch das Angebot an Philosophien und Anleitungen in eine undankbare Rolle gedrängt wird. In die Rolle des Hundehalters, der einen „funktionierenden“ Hund zu führen hat. Aus dem Grund wird der Hund von morgens bis abends trainiert und kontrolliert. Eines scheint man dabei zu vergessen: Der Hund ist ein anpassungsfähiges Lebewesen, welches seit vielen Jahrtausenden in der Nähe des Menschen lebt und das meist problemlos – ohne Dauertraining und Anleitungen. Was natürlich nicht heißen soll, dass man Hunde nicht ausbilden sollte. Ganz im Gegenteil. Es ist natürlich wichtig, dass man dem Hund einige wichtige Signale beibringt, z. B. dass er verlässlich kommt, wenn man ihn ruft.

Zuviel Training

Ich empfinde es aber mehr als übertrieben, wenn sich die Gedanken des Hundehalters nur darum drehen, was der Hund alles nicht darf und diese Verbote wieder und wieder zu trainieren. Warum lassen wir die Hunde nicht einfach selbst Erfahrungen machen, herausfinden, was sie weiterbringt oder eben nicht. Das ist es ja, was Leben und Lernen ausmacht, was das Gehirn fördert – um auch mal flexibel genug zu sein, selbstständig Entscheidungen zu treffen, die von Vorteil für das Individuum sind. Ein Beispiel: Wenn ich mit Hunden, aber auch Menschen unterwegs bin und aus irgendeinem Grund kurz anhalte, um mir etwas anzuschauen, sage ich „warte mal“. Mache aber nichts weiter, sage es nur, wenn ich stoppe. Unter Menschen ist das höflich, und schon von Kindesbeinen an lernen wir, dass jemand, der „warte mal“ sagt, stehenbleibt. Um zusammenzubleiben halten andere dann eben auch an. Das macht ein Hund ebenfalls – er lernt, was die Worte bedeuten und bleibt, wenn die Worte ertönen, auch stehen. Weil es zu seinem Vorteil ist, beim Menschen zu bleiben um nicht allein zu sein. Solch ein Alltagslernen findet immer und überall statt und man muss es nicht obsessiv trainieren. Natürlich sollte man für ernste Situationen immer ein Signal trainiert haben, welches ein sicheres Stoppen oder Kommen garantiert. Aber daraus muss nicht das Leben bestehen. Hunde die ständig trainiert werden, immer und für jede Handlung ein Feedback bekommen, sind meist leicht zu verunsichern.

Zuviel Feedback – eigene Entscheidungsfähigkeit wird unterdrückt

Andauerndes Feedback zu jeder Handlung kann nicht gut sein. Dadurch weiß ein Hund nicht, was er machen soll, wenn er einmal kein Feedback, keine Anleitung bekommt. Das ängstigt ihn, stresst ihn. Und unter Angst und Stress kann ein Lebewesen auch mal aggressiv oder hysterisch überreagieren. Ein Trend, den ich leider immer häufiger in den letzten Jahren beobachte. Hunde, die durch Dauertraining leicht zu stressen sind, kein Selbstvertrauen haben und in eigentlich einfachen Situationen überreagieren.
Trainieren ist gut - wenn es nicht übertrieben wird
Weitere Probleme sind, dass durch diverse Medien ein völlig falsches Bild vom hündischen Sozialverhalten gezeichnet wird – dass nur noch die Worte Rudel, Rudelführung usw. im Vordergrund stehen. Wobei sich diese „Rudelführung“ in erster Linie darauf bezieht, Hunde einzuschüchtern und dadurch ebenfalls wieder unsichere Tiere zu produzieren, die nicht selbstständig mit fremden Situationen umgehen können.

Falsches Verständnis vom Sozialverhalten

Das angeborene Sozialleben der Hunde hat viel weniger mit  zusammengewürfelten Rudeln zu tun, als man glaubt. Wölfe, die Vorfahren der Hunde, leben immer nur in kleinen Familien, und selbstbestimmte Straßenhunde sind bis auf wenige Ausnahmen allein auf Streifgängen anzutreffen. Nur an Schlaf- und/oder Fressplätzen kann man lockere Gruppenbildungen erkennen. Strenge „Rudelführer“ sind Hunden von Natur aus fremd, aber der Trend der letzten Jahre suggeriert uns, dass Hunde strenge Führung brauchen würden – und das wird wieder trainiert…

Zu verkrampfter Umgang mit dem Thema

Hunde folgen uns, wenn wir fair mit Ihnen umgehen, wenn wir ihnen Freiheiten gönnen, sie mit Sicherheit und Nahrung versorgen. Wenn sie sich in unserer Nähe wohl fühlen. Natürlich müssen wir einige Regeln vermitteln und einüben, damit unsere soziale Gemeinschaft funktioniert. Wir müssen aber nicht bis zum Umfallen trainieren und an Rudelführertheorien glauben, von denen die Tierart Hund keinen Schimmer hat.
Vielleicht sollten wir Menschen selbst mal mehr üben, die (Hunde)Welt wieder entspannter zu sehen. Den Hund auch mal im Alltag lernen lassen und ihm die Freiheit geben, seine unglaubliche Fähigkeit zur Anpassung nutzen zu können. Und wenn man sich dann noch sachlich mit den Bedürfnissen und dem Sozialverhalten der Hunde beschäftigt, kann der deutlich zu beobachtende Trend zu verunsicherten Hundehaltern und Hunden vielleicht wieder umgekehrt werden…

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