„Der muss machen, was ich ihm sage!“ – „Wie wäre es, wenn Sie mal zuhören, was der Hund sagt?“
Au Mann! Warum habe ich eigentlich immer solche Begegnungen.
Oder warum kann ich mir nicht einfach Scheuklappen zulegen und vorbeigehen?
Das war wieder so eine Begegnung, die mir vor Augen führt,
was Hunde mit ihren Menschen oft mitmachen müssen. Und das in überwiegender
Mehrheit auch ertragen, ohne sich zu beschweren…
Hund soll „Platz“
machen
Eine Frau bindet ihren Hund neben einem Geschäft
an und möchte in dem Laden einkaufen gehen. Der Hund soll während des Einkaufs
draußen im „Platz“ liegen und abwarten. Die Frau will den Hund ins Platz
bringen. Sie geht dabei folgendermaßen vor: Sie beugt sich zum Hund, schaut ihm
dabei tief in die Augen, hält ihre Hand vor die Nase des Hundes und dieser soll
der Hand ins Platz folgen. So weit, so gut – bis auf das Anstarren und das
Überbeugen kann man das so machen.
Ich komme die Straße lang und sehe das Geschehen schon aus
einiger Entfernung.
Hund macht kein „Platz“
Der Hund geht nicht ins „Platz“. Ich höre beim Näherkommen,
wie die Frau den Hund weiterhin übergebeugt anstarrend, mit angefauchtem „Platz,
platz, platz…“ anspricht. Und dabei inzwischen mit hektischen Bewegungen im
Zappelrhythmus die Hand vor der Hundenase auf- und abschwenkt. Das geht eine ganze Weile so, bis ich direkt
daneben stehe. Ich denke mir, „geh weiter, nicht schlauschwätzen – hilft dem Hund
sowieso nicht“ – bleibe aber dennoch stehen und schaue es mir an – zunächst.
Die Frau nimmt mich übrigens gar nicht wahr…
Frau bedroht Hund und
versteht nicht, was er sagt
Und das Schauspiel geht weiter. Hund wird übergebeugt
angestarrt, mit salvenartigem „Platz“ angefaucht und die Hand wedelt kurz vor
der Nase des Tieres auf und ab.
Man kann deutlich sehen, dass dem Hund die Situation höchst
unangenehm ist, er nichts damit anzufangen weiß. Er leckt sich über die
Schnauze, versucht den Blick abzuwenden, dann den ganzen Kopf, den er zur Seite
bewegen will. Klassische und unverkennbare körpersprachliche Zeichen, mit denen
der Hund zum Ausdruck bringen möchte, dass er alles akzeptiert, was das
Gegenüber macht, er sich selbst nicht wehrt. Er bittet damit zudem, dass
Frauchen doch bitte mit diesem komischen Verhalten aufhören soll. Das, was
Frauchen da macht – sich über ihn beugen, mit der Hand vor seiner Nase
rumfuchteln, ihn anstarren und mit immer aggressiverem „Platz“ anfauchen. Das
ist für den Hund, selbst wenn es von einem vertrauten Mensch kommt, nichts
weiter als eine Bedrohung. Und mit seiner Körpersprache verrät der Hund eindeutig,
dass er sich trotz der von ihm so empfundenen Bedrohung nicht wehren wird – im Gegenteil,
er dokumentiert nachdrücklich seine freundlichen Absichten – mit der hundlichen
Körpersprache. Und wie reagiert Frauchen auf die Körpersprache des Hundes, auf
das Wegdrehen des Kopfes? Sie packt sich den Kopf, dreht ihn wieder in die
Richtung ihrer Augen und sagt: „Kuck mich an, wenn ich mit dir rede!“.
Hund kann unter
Stress nicht klar denken
Sie werden es sich denken können. Ich kann nicht weitergehen
und muss schlauschwätzen… Freundlich spreche ich die Frau an und erkläre ihr,
dass ihr Hund nicht weiß, was sie von ihm möchte, dass er sich bedroht fühlt
und die ganze Zeit körpersprachlich sein Unwohlsein, aber auch seine
Freundlichkeit zum Ausdruck bringt.
„Der versteht mich ganz genau, der weiß, was Platz bedeutet.
Das klappt zuhause auch. Er muss machen, was ich ihm sage! Der will hier nur
seine Grenzen austesten!“ Entgegnet die Frau.
Wie ein Blackout bei
einer Prüfung
Ich versuche dann der Frau zu erklären, dass man in individuell
bedrohlich empfundenen Stresssituationen, ob man Mensch oder Hund ist, nur auf
wenige Handlungsstrategien zurückgreift. Die Strategien, die das Überleben
sichern sollen. Das Gehirn konzentriert sich darauf und kann andere
abgespeicherte Handlungen, die mehr oder weniger unwichtig zum Leben sind (wie „Platz“),
nicht abrufen, kann darauf nicht zugreifen. Man kann das auch mit einem
Blackout eines Menschen bei einer wichtigen Prüfung vergleichen. Auf gut
deutsch – wenn man sich fürchtet, kann man nicht klar denken.
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Und diese Frau
hat dem Hund so eine Furcht eingeflößt, dass sein Gehirn ihm die Bedeutung von „Platz“
nicht mehr mitteilen konnte. Seine primäre Verhaltensstrategie war, Frauchen zu
beruhigen. Und das macht man als Hund eben mit diversen körpersprachlichen
Mitteln, wie z. B. dem Kopf wegdrehen. Und auch das wurde vom Frauchen
missverstanden. Nicht nur missverstanden und übersehen, der Kopf wurde mit
Zwang in die Ausgangslage zurückgedreht.
Ganz ehrlich, ich verstehe oft nicht, wie geduldig Hunde mit
uns Menschen sind. Und wenn mal einer die Geduld mit den Menschen verliert,
oder in einer für ihn bedrohlichen Situation eine andere Strategie wählt und „nach
vorne geht“, dann ist er angeblich unerzogen, testet seine Grenzen aus oder
will den „Boss“ spielen. Traurig…
Menschen sollten
verstehen, was Hunde sagen
Nun gut, ich habe bei der Frau freundlich „schlau geschwätzt“,
ihr versucht klarzumachen, dass ihr Hund in der Situation nicht das machen
musste, was sie sagte. Er konnte es überhaupt nicht, weil er nicht wusste, was
sie von ihm wollte. Und er ihr das sehr freundlich und ständig gesagt hat. Sie
konnte ihn nur nicht verstehen.
Ich denke nicht, dass ich die Frau ernsthaft erreicht habe.
Aber vielleicht denkt sie ja doch mal darüber nach und beschäftigt sich gelegentlich
ernsthaft mit der Sprache ihres Hundes. Der möchte ihr nämlich so vieles sagen.
Sie versteht es nur nicht. Vielleicht ist es mal Zeit für einen neuen Spruch
unter Hundehaltern:
„Ich muss
verstehen, was der mir sagt!“.