Ein offenes Wort an den Kollegen Rütter…

Anfang dieser Woche hatte ich einen neuen Beratungstermin bei einer Familie und Ihrem Hund. Im telefonischen Vorgespräch wurde mir berichtet, dass der Hund, ein Jack-Russell-Mix, immer bellend zur Haustür laufen würde, wenn sich Besuch durch schellen ankündigen würde. Beim Eintreten des Besuchs würde der Hund diesen verbellen und bedrohen, aber (noch) nicht zuschnappen. Solche Fälle sind nicht selten in meiner täglichen Praxis. Ein gezieltes Training, welches dem Hund zeigt und vorgibt, wie er sich in dieser Situation verhalten muss, zeigt meist gute Ergebnisse. Ersatzverhalten trainieren, Strukturen im Hundeleben entwickeln und an der Ruhe und Souveränität der Besitzer arbeiten. Und alles natürlich auf die individuellen Umstände abgestimmt, kennzeichnen meine grundsätzliche Herangehensweise bei solch einem Fall. Das Ganze braucht natürlich etwas Zeit und konsequentes, durchdachtes Training, zeigt aber meist ein positives Ergebnis für Mensch UND Hund.
Gut, ich erschien also zu dem verabredeten Termin und erwartete einen bellenden Hund. Doch nachdem ich die Türschelle betätigt hatte, hörte ich nichts – nur den Familienvater, der schnellen Schrittes zur Tür eilte und mir öffnete.“ Kommen Sie herein und schauen Sie, was wir am Wochenende erreicht haben“, sagte der Mann, der einen fast glücklichen Eindruck machte. In der Küche trafen wir dann auf den Rest der Familie und den „Problemfall“ Hund, der merkwürdigerweise still unter einer Küchenbank lag. Allerdings lag der Hund nicht friedlich entspannt unter der Bank, es hatte eher den Anschein, dass das Tier dort eine Zuflucht gefunden hatte, allerdings trotzdem noch stark gestresst war. Der Hund beäugte das Umfeld sehr genau, hektische Augenbewegungen wechselten sich mit lecken der Schnauze, zittern und einem fast schon apathischen Lecken der Vorderläufe ab. Der Hund war augenscheinlich stark gestresst im Zusammenhang mit meinem Erscheinen als Besucher – er war traumatisiert. Als wenn das nicht schlimm genug wäre, versuchten die Besitzer das Tier noch unter der Bank hervorzuziehen – und als der Hund dann knurrte, weil er sich nicht „gewaltsam“ von seinem scheinbar sicheren Platz entfernen lassen wollte (was vollkommen verständlich war), holte der Besitzer plötzlich eine Kette hervor, warf diese dem Hund vor die Nase. Jetzt konnte er den nicht mehr knurrenden Hund, der inzwischen stocksteif dalag, unter der Bank hervorziehen. Es war ein Moment, wo ich laut losmeckern wollte, um den Hundebesitzer so zu traumatisieren wie den Hund. Um aber nicht alle Möglichkeiten dem Hund zu helfen zu verspielen, verzichtete ich darauf und konnte auf sachlicher Ebene erläutern, was dem Hund gerade und am letzten Wochenende angetan wurde.
Was war geschehen? Im Gespräch erläuterte mir die Familie dann, dass sie am Samstag eine Sendung mit Martin Rütter gesehen hätte, wo einem Hund eine Kette und/oder ein Flasche, gefüllt mit Nägeln, immer dann vor die Füße geworfen wurde, wenn er Besucher anbellte oder knurrte. Da ich die Sendung nicht selbst gesehen habe kann mich nicht genau zu dem geschilderten Beitrag äußern. Ich kann allerdings sagen, dass ich persönlich nie mit Wurfketten und anderen Mitteln arbeite, die Hunde im Training kontinuierlich erschrecken, verängstigen und verunsichern. Sicher kann man situativ mal in die Hände klatschen oder auf den Boden stampfen, um Hunde zum Abbruch einer „unerwünschten“ Handlung zu bringen. Einen Hund aber mit Rappelgeschossen zu traktieren, um ein schnelles Ergebnis zu bekommen, führt fast immer zu stark traumatisierten Hunden, die dauerhaft verängstigt sind und eine minimale Lebensqualität erhalten. Zudem können solche Hunde im schlimmsten Fall durch aufgestaute Frustrationen und Wut irgendwann ins Gegenteil umschlagen und noch stärkere Aggressionen zeigen, als zuvor von dem „Rappelquatsch“ beseitigt. Nun gut, ich kann den Fall aus dem TV nicht genau beurteilen, weil ich ihn nicht gesehen habe. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte ich ihn aber anders angegangen. Was natürlich einen längeren Zeitraum in Anspruch genommen hätte und nicht den fernsehgerechten Schnellerfolg gezeigt hätte. Aber ich hätte mit Sicherheit auch darauf geachtet, dass Fernsehzuschauer, die solche Methoden um des „schnellen Erfolgs Willen“ oft unreflektiert nachahmen, nicht auf diese Idee kommen würden, ihren Hund innerhalb eines Wochenendes mit Kettenwürfen in ein nervliches Wrack zu verwandeln.
Darum nun einmal einige persönliche Worte an Dich, Martin.
Dass dieser Hund dermaßen traumatisiert unter der Bank lag, war natürlich in erster Linie die Schuld der Besitzer – doch man kann nicht leugnen, dass sie erst durch Deinen Fernsehbeitrag dazu gebracht wurden, so mit Ihrem Tier umzugehen. Ich weiß natürlich, dass bei Fernsehproduktionen der Unterhaltungswert und der schnelle, gern spektakuläre Coachingerfolg im Vordergrund stehen. Einen schnellen Erfolg mit Wurfketten etc. kann man natürlich visuell und dramaturgisch gut umsetzen und verkaufen. Allerdings mit dem Erfolg, dass so etwas von weniger informierten Hundehaltern oft ohne Gedanken kopiert wird, bis man traumatisierte Hunde hat wie das Tier meiner Kunden. Und ich bin mir sicher, dass diese Kunden nicht die einzigen Menschen sind, die solch eine „Methode“ unreflektiert kopieren. Wenn man öffentlich Tipps oder Äußerungen zu gewissen Themen abgibt, muss man immer bedenken, dass öffentliches Auftreten Konsequenzen für andere haben kann. Hier sind die leidtragenden Hunde. Ich versuche bei jedem öffentlichen Wort höllisch darauf zu achten, dass meine Worte keine negativen Folgen für Hunde haben. Schließlich handelt es sich um lebende und vor allem empfindende Lebewesen, die den Menschen letztendlich bedingungslos ausgeliefert sind. Ich würde mir wirklich wünschen, dass Du, Martin, manchmal auch mehr die Folgen für die Hunde bedenken würdest, und nicht nur die sendefähige Umsetzung im Auge hättest. Damit würden viele Hunde vor traumatischer Behandlung bewahrt.
Bitte nicht falsch verstehen, ich möchte Dich hier nicht grundsätzlich kritisieren, weil ich überzeugt bin, dass Du im Prinzip keine Gewalterziehung befürwortest. Wobei ich die Einschüchterungsmethoden über Erschrecken nicht zielführend halte und persönlich nicht einsetzen würde, denke ich dennoch, sind wir in Deutschland mit Dir als medialen „Vorturner“ doch besser dran als z. B. die Amerikaner mit dem „Hundeflüsterer“. Du bist mir als Mensch auch nicht unsympathisch, Du bist ein guter Comedian, Deinen Einsatz für den Tierschutz schätze ich – aber ich würde mich noch mehr freuen, wenn Du manchmal mehr daran denken würdest, was es indirekt für Hunde bedeuten kann, wenn ihre Besitzer Deine Sendung sehen. Im Falle meines Kundenhundes war die Folge ein Trauma. Welches wir nur sehr langsam und mit sehr viel Geduld wieder umkehren können. Aus dem eigentlichen Fall ist nun ein wesentlich schwierigerer geworden, der die Besitzer letztlich mehr Nerven und Geld kostet, als es nötig gewesen wäre. Klar, mir beschert der Fall nun mehr Honorar. Aber darauf könnte ich verzichten – weil ich es nur schwer ertragen kann, wenn Hunde leiden…
Also, nichts für Ungut für diese offenen Worte. Ich hoffe, dass Du vielleicht einmal über die möglichen Konsequenzen Deiner öffentlichen Ausführungen nachdenkst. 
Mit kollegialem Gruß
Thomas Riepe

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Ein Wort zu den Kommentaren:
Es ist wirklich erstaunlich, wie emotional und aufgeheizt einige Kommentare sind. Ein großer Teil der eingehenden Kommentare dreht, bzw. drehte sich um grundsätzliche Fragen der Hundeerziehung, Beleidigungen wurden aussprochen (gegen mich, aber auch gegen Martin). Ferner wurde versucht, eigene Wahrheiten zu patzieren etc. Dabei sei es hier nocheinmal angesprochen: Dieser Artikel ist weder ein Angriff gegen den Kollegen, noch möchte ich an dieser Stelle grundsätzliche "Wahrheiten" verbreiten oder gar "belehren". Das Ziel ist schlicht, dass mal darüber nachgedacht wird, welche Verantwortung man den Hunden gegenüber hat, wenn man sich öffentlich zu Erziehung äußert. Es ist wirklich erschreckend, wie auf solch einen Gedankeanstoß teilweise reagiert wird, und welche Grundsatzdiskussionen losgetreten werden. Ich sehe mich daher gezwungen, die Kommentarfunktion zu begrenzen. Ich bitte um Verständnis dafür - viele Kommentare, die ich nicht "durchlassen konnte" waren inzwischen wirklich viel zu weit weg vom Thema. Es sei auch erwähnt, dass dies ein BLOG ist und kein Forum ;-)

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