Hundeerziehung mit Markenzeichen – Eine Betrachtung der Methoden und Versprechungen

Wer heute als Hundetrainer etwas auf sich hält, erzieht und berät nicht einfach nur Hund und Halter, sondern entwickelt ein ganz eigenes, einmaliges, nie da gewesenes Konzept, eine Methode oder gar eine Philosophie. Wenn das einmalige Konzept dann noch als Marke eingetragen wird, verspricht man sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den „normalen“ Hundetrainern, der sich optisch und wirtschaftlich bemerkbar machen soll. Betrachtet man die wirtschaftliche Vermarktungsstrategie der unzähligen, einmaligen Konzepte und Methoden, kann man natürlich nichts dagegen einwenden. Der Markt hat den Bedarf, die verunsicherten Hundehalter suchen sich „Heilsbringer“, die ihnen schnelle und einfache Lösungen suggerieren. Wie gesagt, verkaufspsychologisch und von der Marketingseite her gesehen, ist das „abgrasen“ des Marktes rund um den Hund nicht zu beanstanden. Werbefachleute leisten hier gute Arbeit. Aber welche Folgen hat das für den Hund und seinen Halter? Sind wirklich alle Systeme so einmalig und wegweisend, wie das ihre Erfinder zu suggerieren versuchen? 

Lange gemeinsame Geschichte ohne Ausbildungsmethoden 

Einige Schlagworte diverser Konzepte möchte ich für Euch gern einmal näher betrachten – ohne jedoch auf das Marketingkonzept näher einzugehen. Wichtig ist mir, diese Konzepte, bzw. deren zentralen Aussagen so zu untersuchen, dass Ihr Euch ein eigenes Bild machen könnt, welches sich rein auf den Hund bzw. dessen Bedürfnisse bezieht.

Zunächst sollte man bei diesem Thema ganz nüchtern betrachten, dass Hunde seit ca. 15.000 Jahren beim Menschen leben, erst ab den letzten ca. 150 Jahren gezielt und regelmäßig einige Hunderassen in speziellen Vereinen eine Art „Ausbildung“ erhielten, meist geprägt von Unterdrückung und Meideverhalten. Die ganz große Mehrheit der Hunde wurde bis vor wenigen Jahren überhaupt nicht ausgebildet. Die Menschheit ist also über 15.000 Jahre gut mit den Hunden ausgekommen, in der absolut überwiegenden Mehrheit komplett ohne Erziehung und Ausbildung. Nur mit von beiden Seiten verstandenen sozialen Regeln ohne Zwang. Erst seit ca. 10 - 15 Jahren haben die so genannten Industriestaaten die Hundeerziehung als Markt entdeckt, der ungeahnte finanzielle Reserven bereithält.

Doch zu konkreten Philosophien, Methoden bzw. Schlagworten. Immer wieder gern wird von so genannter „artgerechter Hundeerziehung, bzw. artgerechter Hundehaltung“ gesprochen. Doch schon da teilen sich die Geister gewaltig. Während der eine Hundeexperte als vollkommen artgerecht ansieht, dass Hunde von Natur aus in einem strikten hierarchischen System leben, welches sich durch Unterdrückung und Durchsetzungskraft auszeichnet, denken andere bei artgerecht daran, einen Hund über Motivation und Freude bei der Erziehung in das Schema zu pressen, welches die Gesellschaft verlangt. Dazu kann ich, nach meiner persönlichen Erfahrung und Meinung nur sagen, dass beides nicht richtig sein kann. Ganz einfach, weil es nicht möglich ist, einen Hund „artgerecht“ zu erziehen. Unter Hunden oder auch den wildlebenden Vorfahren der Hunde, den Wölfen, wird nicht erzogen. Erziehung, oder was wir darunter verstehen, ist, dass der Hund alles ausführt, was wir von ihm verlangen, und von Dingen, die er tun möchte, auf unseren Befehl ablässt. Das kommt in der Natur, bei der Art Canis aber nicht vor. Regeln gibt es nur im sozialen Kontext, im direkten Umgang miteinander. Kein Hund oder Wolf würde jemals einem anderen die Jagd verbieten, kein Hund der Welt würde jemals einem anderen Sitz oder Platz beibringen und bei nichtbefolgen der Befehle den anderen gar zurechtweisen oder züchtigen. Nein, wenn man von „artgerecht“ redet, müsste man dem Hund morgens die Tür öffnen und ihn den ganzen Tag allein streunen lassen, und, wenn der Hund dann mal daheim wäre, ausgiebigen sozialen Kontakt mit ihm pflegen. Streicheln, spielen, aber auch den sozialen Kontakt einmal abbrechen, wenn der Hund zu weit geht, zu aufdringlich oder robust wird. Wenn man sich einmal näher damit beschäftigt wird man herausfinden, dass 90 % aller Hunde der Welt so leben. Meist in Schwellenländern oder der dritten Welt. Ausnahmen bilden da in der Regel die nördlichen Industrieländer, die die Hunde mit übertriebener Erziehung „überschütten“, oder die Süd und osteuropäischen Länder, in denen Hunde nach unseren Moralvorstellungen nicht immer optimal behandelt werden. 

Artgerechte Hundeerziehung? 

Feststellen kann man an dieser Stelle, dass es eine artgerechte Hundeerzeihung aus den vorgenannten Gründen nicht geben kann. Wenn man also den Begriff „Artgerecht“ ernst nimmt, kann niemand behaupten, dass er einen Hund auch nur annähernd der Art entsprechend erzieht. Das geht schlicht nicht. Daher sollte man immer ganz genau nachfragen, wenn man einem Hundeexperten begegnet, der die „artgerechte Hundeerziehung“ übermäßig betont. Das Wort erzielt seine Wirkung beim Menschen, beim Kunden und ist eine sehr gutes Marketinginstrument. Artgerecht muss doch gut sein…

Artgerecht ist also nicht möglich. Was man aber erreichen kann, ist die Bedürfnisse des Hundes so gut es uns eben möglich ist, zu erfüllen. Aber auch da sind sich die Hundeexperten völlig uneins, welches denn Bedürfnisse sind, die man dem Hund unbedingt erfüllen sollte. So gibt es einige Experten, die den Hund in starren Rangordnungen festnageln und ihnen innerhalb dieser Rangstrukturen keinerlei Freiheiten einräumen – und wenn der Hund einmal etwas selbstständig entscheidet, ihn mit unangenehmen Mitteln davon abbringen. Dabei gibt es inzwischen sehr eindeutige Nachweise, dass es unter Hundeartigen zwar Rangstrukturen gibt, diese aber längst nicht so absolut gesehen werden, wie wir Menschen das gerne hätten. Viele Hundetrainer arbeiten nämlich mit der simplen Formel, dass man den Hund mit allen Mitteln unterdrücken müsse, damit dieser nicht die „Macht“ an sich reiße. Verhaltensbiologisch nicht haltbar, aber immer noch in aller Munde. Seid daher ganz aufmerksam, wenn ein Trainer Euch mit übertriebenem Rangordnungsgerede klar machen möchte, dass Hunde dann und wann mal härter angefasst werden müssen.

Hunde haben das Bedürfnis, in einer strukturierten Umwelt zu leben, die beim eigenen Handeln eine gewisse Sicherheit bietet. Hunde haben kein Bedürfnis absolut ständig nach der Macht zu streben.

Aber genau das ist das Argument der Philosophien, die „Artgerecht“ und „Rangordnung“ in einem Atemzug nennen. Der Hund könne also nur artgerecht leben, wenn er unterdrückt würde und nicht zu viele Freiheiten genießen würde. Das sind allerdings Aussagen, die sich nicht sachlich belegen lassen. Im Gegenteil, seriöse Forschung zeichnet heute ein ganz anderes Bild vom Sozialverhalten der Caniden. Aber trotzdem beruhen viele Methoden immer noch auf schlichter Einschüchterung und Verunsicherung der Hunde. Diese Methoden „funktionieren“ auch tatsächlich häufig schnell, haben aber einige gravierende Schwächen.  Einschüchterung, vor allem über Gewalt und Schmerz veranlassen einen Hund zwar, schnell das zu machen, was wir von ihm verlangen. Allerdings besteht dabei die begründete Gefahr von aufgestauten Frustrationen, die in Aggressionsentladungen gipfeln können.

Ist Gewaltfrei wirklich immer Gewaltfrei?

Weil sich bei den Bevölkerung aber immer ein gewisser Abwehrreflex beim Wort Schmerz und Gewalt regt, wird das Marketingschlagwort „Gewaltfrei“ heute sehr inflationär eingesetzt. Man sollte aber wissen, dass es auch eine mentale Gewalt gibt. Wenn ein Säugetier dauerhaft verunsichert wird (z. B. dauerhafte „Leinenimpulse“, die den Hund verunsichern und dazu bringen sollen, ständig auf den Besitzer zu achten) entwickelt es einen andauernden Stresszustand, der körperliche und seelische Krankheiten hervorrufen kann, unter denen ein Hund stark leidet. Methoden, die also mit Verunsicherung und Verängstigung arbeiten, haben nichts mit „gewaltfrei“ zu tun.

Die vorher genannten, durchaus kontroversen Methoden werden immer noch sehr häufig angewendet und viele Hundetrainer versprechen sich davon einen schnellen Erfolg, den Hund zu einem Roboter zu erziehen, der immer das macht, was man von ihm möchte. Aber die Methodenvielfalt wächst mit jedem Tag, warum es mir schier unmöglich ist einen annähernd vollständigen Überblick zu liefern. Aber nachfolgend möchte ich einige fast schon skurrile Dinge aufzählen, bei denen Ihr auch mal genauer hinschauen solltet, wenn Ihr damit konfrontiert werdet und die Anbieter dies mit voller Inbrunst als „neu“, „innovativ“ oder besonders „artgerecht“ etc. anpreisen. So sollte man, wenn man irgendwo ein artgerechtes Antijagdtraining angeboten bekommt einmal nachfragen, für welche Tierart das gedacht ist. Für ein Kaninchen? Für ein Raubtier das von Natur aus seine Nahrung jagen muss, von artgerechtem Antijagdtraining zu reden ist mehr als skurril… Oft wird solches Antijagdtraining auf dem angeblichen „Ausleben des Jagdtriebes“ aufgebaut, weil man so den „Triebstau“ verhindern könne. Eine Methode, die allerdings einen entscheidenden Haken hat. Einen Triebstau gibt es nicht. Die Energie, die ein Hund bei Bedarf abrufen und zur Jagd nutzen würde, muss immer durch einen Reiz ausgelöst werden. Wenn ein Hund oder ein Wolf diese Energien abrufen und aufstauen würden, um sie dann sinnlos, ohne Reiz zur erfolgversprechenden Jagd, abrufen und verschwenden würde, wäre dies Energieverschwendung.  Daher ist die Triebstautheorie von Konrad Lorenz schon in den 1980er Jahre weitgehend widerlegt worden. Aber immer noch ist der Triebstau ein Schlagwort, das viele Methoden angeblich untermauert. Also, vorsichtig bei Methoden, die den Triebstau in den Vordergrund stellen.


Leckerchen und Lerntheorien

Interessant sind auch viele „neue“ Methoden, die vorgeben komplett ohne Leckerchen zu arbeiten. Weil eine Hundeausbildung über Leckerchen reines konditionieren wäre und keine Kommunikation. Also, ich habe sicher nichts dagegen, wenn man den Hund nicht mit Leckerchen vollstopft und dem Tier mit anderen Mitteln (Stimme, freundlicher Körperkontakt etc.) positive Verknüpfungen mit einer von mir erwünschten Handlung beschere. Was mich aber hochgradig erschreckt ist die Aussage über das Konditionieren. Konditionieren ist kein anderes Wort für stupide Dressur. Konditionierung ist ein wesentlicher Bestandteil des Lernens. Ich kann hier nicht die gesamten Lerntheorien erläutern, aber eines ist einfach und klar zu verstehen. Eine operante Konditionierung ist: Handlung/Konsequenz. Wenn ich also lerne, dass mein Auto anspringt, wenn ich den Schlüssel herumdrehe, ist das Lernen – durch Konditionierung. Wenn ein Hund sich einem anderen zu schnell nähert und dieser durch knurren sein Missfallen äußert, lernt der Hund im sozialen Kontext welche Konsequenz seine Handlung hat. Er lernt, er wird konditioniert und gleichzeitig wird Kommunikation betrieben. Man kann daher durchaus die positive Konsequenz einer von uns erwünschten Handlung durch Nahrung herbeiführen. Das ist zwar konditionieren, aber eben auch schlichtes Lernen. Und sogar artgerecht. Wenn ein Hund richtig jagt, also entsprechend handelt, gibt es auch Nahrung. Er lernt also, wie man jagt und am Ende gibt es ein dickes Leckerchen ;-)

Wenn ein Hundetrainer seine Methode damit bewirbt, dass er immer ohne Leckerchen arbeitet und andere, mit positiver Verstärkung (auch über Nahrung) arbeitende Methoden als reine Konditionierung bezeichnet, lässt mich das ernsthaft an der Seriosität zweifeln.

Klar, natürlich ist auch das wieder eine Marketingstrategie um die „Einmaligkeit“ der eigenen Methode zu dokumentieren. Fachlich korrekt ist diese Strategie aber erneut nicht.

Ich könnte jetzt noch unzählige solcher Beispiele aufführen. Aber ich glaube, die hier aufgeführten Beispiele zeigen recht genau, dass man die „einmaligen, nie dagewesenen und immer erfolgsversprechenden“ Methoden der Hundeerziehung recht kritisch beäugen sollte. Wie bereits erwähnt, Mensch und Hund sind 15.000 Jahre ohne diese ausgekommen…

Natürlich muss man Hunde heute mehr erziehen als früher, leider hat sich die Gesellschaft in eine Richtung entwickelt, die schnelle Lösungen sucht und teils hundefeindlich ist. Wir dürfen und sollten dabei aber nie vergessen, dass wir es mit Lebewesen zu tun haben, und zwar mit sehr individuellen Lebewesen. 

Pauschale Lösungen 

Und das ist der Hauptschwachpunkt der Methoden, die pauschale Lösungen für jeden Hund anbieten. Es gibt keinen pauschalen Hund. Zwar sind Hunde der gleichen Rasse in ihren Veranlagungen ähnlich, aber auch innerhalb einer Rasse gibt es Draufgänger und Angsthasen etc. Wenn man jetzt einen souveränen Hund, den nichts so schnell erschüttern kann über Verunsicherung „erzieht“, ist das zwar nicht korrekt, es kann aber sein, dass dieser das unbeschadet hinnimmt. Einen sensiblen Hund kann man damit seelisch ruinieren… Oder wenn man mit einem Hund mit Futterbeuteln arbeitet, um dem vermeintlichen „Triebstau“ vorzubeugen, kann es sein, dass der Hund einfach Spaß daran hat und körperlich ausgelastet wird. Ein anderer kann durch diese ständige Reizwiederholung so stark sensibilisiert werden, dass er nervös und auch aggressiv auf jeden kleinsten Reiz reagiert. Man kann also sehen, pauschale Lösungswege in der Hundeerziehung sind nicht nur fachlich oft recht fragwürdig, man kann sie auch nicht einfach auf jedes Individuum übertragen, zumindest nicht ohne Gefahr, auf einige Individuen negativ einzuwirken.

Schaut Euch daher die Ausbildungs- und Erziehungskonzepte, mit denen Ihr im Hundebereich konfrontiert werdet ganz genau an und seid skeptisch, wenn Hundetrainer oder andere Anbieter Systeme preisen, die eine schnelle Hundeausbildung suggerieren, die auch pauschal auf jeden Hund übertragbar sein soll. Das, was bei solchen Angeboten sicher gut ist, ist die Marketingstrategie…  

 

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