Plädoyer für einen Hund ohne Lobby...
Obwohl dies ein Blog ist, der sich in erster Linie mit
Haushunden beschäftigt, erlauben Sie mir, hier einmal einen bei uns heimischen
Wildhund zu erwähnen, der gnadenlos verfolgt und getötet wird. Erlauben Sie mir
ein Plädoyer für ein Lebewesen, welches kaum jemand kennt – welches aber in
Deutschland leider viel Leid erfährt: Der Marderhund.
Der Marderhund ist eine kleine Wildhundeart, die
ursprünglich in Ostasien beheimatet ist. In den 1920er Jahren wurde er wegen
seines Pelzes westlich des Ural ausgesetzt. Von dort breitete sich der kleine
Hund rasch nach Westen aus, so dass 1962 das erste Exemplar in Deutschland
(Dresden) nachgewiesen wurde.
Heimliches Tier
Der Marderhund ist ein sehr heimliches Tier, welches für
seine Aktivitäten die Nacht bevorzugt und deshalb kaum gesichtet wird. Selbst
Jäger bekommen ihn selten zu Gesicht. Und wenn, erschießen sie ihn direkt...
(c) Fotolia - Antje Lindert-Rottke |
Warum tun sie das und ist es überhaupt nötig? Nun, zunächst
zählt der Marderhund in unseren Breiten zu den Neozoen. Das sind Tiere, die von
Menschen unabsichtlich oder vorsätzlich in fremde Ökosysteme eingebracht
wurden.
In jedem Ökosystem gibt es Raubtiere und Beutetiere, die
sich durch langes Zusammenleben evolutionär in ihrem Verhalten aufeinander
abgestimmt haben. So kommt es in der Natur nicht vor, dass ein Raubtier seine
Beutetiere ausrottet, weil dann die eigene Art gefährdet wäre. Durch
nahrungsbedingte Geburtenkontrolle und z. B. Inzuchtvermeidung passt sich das
Raubtier / Beutetierverhältnis immer wieder an. Bringt man allerdings ein
Raubtier in ein völlig anderes Ökosystem, in eine System, dass Raubtiere
vielleicht gar nicht so gut kennt, kann sicher ein Ungleichgewicht entstehen.
So zum Beispiel durch Füchse, die von Menschen in Australien angesiedelt
wurden, um die Kaninchen zu bekämpfen, die ebenfalls von Menschen dort eingeschleppt
wurden. Kaninchen und Füchse kennen sich aber lange und können miteinander
umgehen. Die Beuteltiere Australien allerdings, die solche geschickten
Beutegreifer wie den Fuchs nicht kannten, hatten natürlich einen Nachteil
gegenüber diesen. Wer nun allerdings für den dadurch verursachten Artenrückgang
verantwortlich gemacht werden sollte, liegt auf der Hand. Nicht der unschuldige
Fuchs, sondern die Menschen, die ihn in diesen fremden Lebensraum brachten.
Ökologische Schäden
durch den Marderhund?
Aber kann der Marderhund bei uns die gleichen Ökologischen
Schäden anrichten wie der Fuchs in Australien? Um es vorwegzunehmen: Trotz
anderer Darstellungen der Jägerschaft und einiger Schlagzeilen in
Tageszeitungen, es gibt noch keine gesicherten Forschungsergebnisse die dies
bestätigen und vieles deutet darauf hin, das es diese Forschungsergebnisse so
auch nicht geben wird. Es sieht so aus, als käme unsere Umwelt mit diesem
Neubürger zurecht, auch ohne weitere menschliche Eingriffe.
Natur reguliert sehr
effizient – Jäger können das nicht
Bevor man weiter darüber nachdenkt, wie gefährlich der
Marderhund für unsere Fauna sein könnte, sollte man sich einmal näher
anschauen, wie dieses Tier lebt. Nun, wie wir wissen ist der Marderhund ein
Vertreter der hundeartigen Tiere. Er ist also nah verwandt mit einheimischen
Vertretern wie Fuchs und Wolf. Aber weltweit gibt es noch weit mehr Vertreter
dieser Tierfamilie wie z. B. nordamerikanische Kojoten oder afrikanische
Schakale. Alle diese Hunde haben eines gemeinsam: Sie sind keine Einzelgänger
sondern leben mindestens in einer monogamen “Ehe”, meist aber in einem
komplexen Sozialsystem. Bei den meisten Hundeartigen bleiben zudem gerne
Jungtiere aus dem Wurf des Vorjahres bei den Eltern, wenn diese neue Junge
aufziehen. Bei Wölfen sind dies Rüden und Fähen, bei Füchsen dagegen bleiben
meist nur die jungen Fähen länger im Territorium der Eltern, bevor sie später
abwandern um sich ein eigenes Revier und einen Partner zu suchen. Viele junge
Fähen bleiben aber auch lange Zeit im Revier der Eltern, und verlassen dieses
erst, wenn die Nahrung einmal knapp wird. Dies hat einen tieferen Sinn. So
reguliert die Natur die Bestände der Raubtiere. Fuchsväter decken ihre eigenen
Töchter nicht, und so werden wenige Fähen gedeckt, wenn ein intaktes
Reviersystem besteht. Wird dieses Reviersystem durch Menschen zerstört, das
heißt es werden unkontrolliert Tiere abgeschossen, erhöht sich die
Reproduktionsrate der Füchse drastisch. Wenn z. B. die Fuchsmutter erschossen
wird, wandert der Vater ab und sucht sich ein neues Weibchen, während junge
Rüden in sein bisheriges Revier eindringen können und die Fähen decken, die
normal nicht gedeckt worden wären. Dies ist nur ein Beispiel, gleiches gilt
natürlich auch für einen Abschuss des Vaters. Auch dann fehlt dieser im
heimischen Territorium, Jungfüchse können einwandern und die nicht mit ihnen
verwandten Fähen decken. Der Verlust eines Fuchses führt also zu einer weitaus
größeren Reproduktionsrate.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Selbstregulierung beim
Fuchs ist natürlich das Nahrungsangebot im Revier. Ist z. B. in und nach einem
extremen Winter das Angebot an Mäusen gering, wird eine körperlich geschwächte
Füchsin wesentlich weniger Welpen gebären als in guten Mäusejahren. Die
Mäusepopulation kann sich erholen, und der natürliche Kreislauf nimmt seinen Gang.
Man sieht also, dass Füchse ihren Bestand durch ein
Reviersystem, Inzuchtvermeidung und “Geburtenkontrolle” selbst regulieren und
eine Bejagung durch den Menschen nicht notwendig ist. Das gilt nach langer
Forschung inzwischen als wissenschaftlich glaubhaft belegt.
Marderhund wird durch
die Natur reguliert
Warum sollte es beim Verwandten des Fuchses, dem Marderhund
anders sein? Nun, eigentlich weiß niemand so recht, ob es beim Marderhund
wirklich anders ist als beim Fuchs. Nach all meinen Erfahrungen mit Caniden
(Hundeartigen) gibt es keinen vernünftigen Grund zu der Annahme, dass der
Marderhund ein völlig anderes Leben führt. Die Marderhundforschung steckt im
Mitteleuropa zwar noch in den Kinderschuhen, aber es gibt inzwischen eine Reihe
von Studien um dieses Tier besser zu verstehen und um festzustellen, ob es der
heimischen Fauna so stark schadet wie angenommen.
Betrachten wir einmal verbreitete Meinungen zum Thema
Marderhund: Oft wird geschrieben, dass Marderhunde kein ausgeprägtes
Reviersystem hätten. Dies ist aber nicht durch Forschung belegt und beruht auf
Annahmen. Aber diese Annahmen müssen schon deshalb angezweifelt werden, weil
der Marderhund ein Vertreter der Hundeartigen ist. Und der Erfolg dieser
Tierfamilie beruht nicht zuletzt auf einem ausgeprägten Reviersystem.
Sicherlich ist die Annahme, dass auch Marderhunde in einem festen Revier leben
wesentlich näher an der Wahrheit als andere, nicht belegte Behauptungen. Und
man kann nach allen Erfahrungen in der Hundewelt davon ausgehen, dass sich
Reviergrößen und Bestände dem jeweiligen Nahrungsangebot anpassen.
Inzwischen hat man auch schon einige Marderhunde
telemetriert (mit Radiosendern ausgestattete Tiere, deren Aufenthalte und
Wanderbewegungen dokumentiert werden können). Hierdurch stellte man fest, dass
junge Rüden sich wesentlich weiter vom Geburtsort entfernen als junge Fähen.
Könnte das nicht ein Indiz dafür sein, dass junge Fähen, ähnlich wie bei
Füchsen, längere Zeit im Revier der Eltern verbleiben? Ein interessanter
Gedanke bezüglich Inzuchtvermeidung, Populationsdynamik und Bestandsregulierung.
Wenn dem so wäre, könnte man davon ausgehen, dass vermehrte Abschüsse, ähnlich
wie beim Fuchs, zu einem unkontrollierten Anstieg der Population führen. Nun,
dies ist nicht belegt, aber bei der Betrachtung anderer Caniden dieser Größe
durchaus wahrscheinlich.
„Bodenbrütermassaker“ als Ausrede des Menschen für „Marderhundmassaker“?
Aber das sagt uns noch nicht, ob der Marderhund wirklich ein
“Massaker” unter bodenbrütenden Vögeln anrichtet. Dazu ist es gut zu wissen,
dass man in der Forschung inzwischen gute Ergebnisse bezüglich der Nahrung der
Marderhunde hat. Der Mageninhalt etlicher toter Marderhunde wurde untersucht.
So hat zum Beispiel das Naturkundemuseum Görlitz veröffentlicht, dass die von
Ihnen untersuchten Marderhunde in erster Linie von Mäusen, Insekten, Fallwild,
Früchten und Insekten leben. Und dies auch zur Brutzeit der bodenbrütenden
Vögel.
Ähnliche Ergebnisse zeigen auch die Untersuchungen anderer
Biologen. Man kann heute fast sicher davon ausgehen, dass Marderhunde sich zum
größten Teil von Früchten, Insekten und Mäusen ernähren. Die prozentualen Anteile
ändern sich nur mit der Jahreszeit. Zu keiner Zeit stellen aber Vögel einen
großen Teil der Nahrung dar. Ehrlich gesagt hätten mich andere Ergebnisse der
Marderhundnahrung sehr überrascht. Bodenbrüter leben in unseren Breiten seit
ewigen Zeiten mit Raubtieren zusammen und haben z. B. durch sehr versteckte,
weit voneinander getrennte Nester eine gute Strategie entwickelt, durch
Raubtiere nicht stark dezimiert zu werden. Marderhunde werden nicht gezielt
durch ihr Revier streifen und aufwendig nach seltenen Vögeln suchen. Mäuse,
Insekten und auch Früchte sind doch viel einfacher zu erreichen. Stolpert der
kleine Hund dann allerdings mal über einen Vogel, wird er auch diesen nicht
verschmähen. Wie aber die Nahrungsanalysen deutlich zeigen, ist dies sehr selten
der Fall. Aber das ist ein ganz normaler Vorgang in der Natur. Die häufigen
Mäuse werden öfter gefressen als die seltenen Vögel. Dieses Phänomen, das in
der Natur das Seltene auf Kosten des Häufigen schützt, nennt sich in der
biologischen Terminologie „Schwelleneffekt“.
Keine Gefahr. Für nichts
und niemanden…
Nun, jetzt mag mancher sagen, das stimmt wohl, aber es ist
ja jetzt ein Raubtier mehr da, also werden auch mehr Vögel gefunden. Dieser
Gedanke hat jedoch in seiner Einfachheit einen Denkfehler. Erinnern wir uns:
Die Zahl der Neugeborenen Füchse hängt mit der Anzahl der füchsischen
Hauptnahrung, der Mäuse zusammen. Befindet sich nun ein Marderhund im
Fuchsrevier, wird es weniger Mäuse geben und weniger kleine Füchse zur Welt
kommen. Auch der Marderhundnachwuchs wird sich anpassen und im Endergebnis
werden so viele Marderhunde und Füchse im Revier sein, wie zuvor nur Füchse.
Füchse und Marderhunde besetzten nämlich die Gleiche ökologische Nische, haben
also fast das Gleiche Nahrungsspektrum. Der Marderhund frisst dabei aber noch
wesentlich mehr vegetarische Kost. Diese Theorie ist zwischen Fuchs und
Marderhund zwar noch nicht definitiv nachgewiesen, aber Forschungen im
Verhalten von Wolf zu Kojote, Kojote zu Fuchs oder verschiedener Schakalarten
untereinander zeigen deutlich, dass Tiere, die eine ökologische Nische besetzen
sich gegenseitig “wegkonkurrieren”. Ein natürlicher Schutz der Beutetiere.
Nach allen Erfahrungen mit hundeartigen Tieren, Forschungen
an Raubtieren etc. kann man davon ausgehen, dass das einzige heimische Tier,
welches direkt von der Anwesenheit des Marderhundes betroffen ist, der Fuchs
ist.
Aber keine Sorge, sicher wird der Marderhund den Fuchs nicht
ausrotten können. Dafür ist der Fuchs ein viel zu erfolgreiches und
anpassungsfähiges Raubtier. Fuchs und Marderhund leben auch in Asien in
gemeinsamen Lebensräumen. Nur wird sich ihre Kopfzahl gegenseitig anpassen.
Noch ein paar kurze
Wörter zu Krankheiten, für die der Marderhund als Träger in Frage kommt:
Er ist genauso ein Träger der Tollwut wie der Fuchs. Aber
auch das ist kein Grund, ihn zu schießen. Die Erfahrungen beim Fuchs haben
deutlich gezeigt, dass Fuchsbestände durch Abschüsse anwachsen (siehe Anfang
dieses Artikels) und so die Tollwut gefördert wird. Erst mit Impfaktionen durch
ausgelegte Impfköder wurde ein guter Weg gefunden, die Tollwut zu bekämpfen.
Dadurch ist diese heute eine sehr seltene Krankheit.
Auch die Panikmache bezüglich des Fuchsbandwurmes ist mit
dem gesunden Menschenverstand nicht nachzuvollziehen. Seit die durch den
Fuchsbandwurm ausgelöste Krankheit meldepflichtig ist weiß man, dass im
Durchschnitt jährlich unter 20 Menschen in ganz Deutschland daran erkranken.
Und diese kommen mehrheitlich aus den Risikogruppen Jäger, Tierärzte etc.
Die Gefahr für die übrige Bevölkerung ist also nachweislich
äußerst gering.
Kein Verständnis für
Verfolgung
Nimmt man nun diese Indizien zum Marderhundverhalten und die
nachgewiesenen Nahrungsanalysen, bleibt wenig Verständnis für eine gnadenlose
Verfolgung dieses Neubürgers. Zwar wird zur Zeit noch geforscht, aber ich bin
mir sicher, dass man keinen Einfluss des Marderhundes auf Vogelbestände
nachweisen kann und auch sonst wird man ihm keine “Schädlichkeit” in Land -oder
Forstwirtschaft nachweisen können. Er hat sich vermutlich schon jetzt in die
heimische Fauna integriert und wird heimlich viel weiter verbreitet sein, als
wir glauben.
Freund und
Bereicherung
Der Marderhund sollte von uns Menschen nicht als Feind
betrachtet werden, sondern als eine Bereicherung unserer Fauna. Er findet hier
alles vor was er zum Leben braucht und vor allem eine Tierwelt, die seit ewigen
Zeiten mit den geschicktesten Raubtieren lebt. Diese Tierwelt braucht den
Marderhund nicht, vermutlich kommt sie aber mit ihm problemlos zurecht. Darum
sollten wir Menschen uns heraushalten und nicht dauernd versuchen Eingriffe
durch neue Eingriffe zu bekämpfen. Die Natur kommt mit dem Marderhund klar,
viel schlimmer ist der Feind, der Flora und Fauna immer mehr Lebensraum
stiehlt...
Freispruch für den
Marderhund!
Darum plädiere ich auf Freispruch für den Marderhund.
Indizien und Beweise zusammengenommen zeigen deutlich, dass er kein gefährlicher
Eindringling ist. Man sollte daher Abstand von einer Verfolgung ohne Grund
nehmen. Schließlich ist er ein hochentwickeltes Wirbeltier, welches sicher
ähnlich wie wir empfindet, wenn man ihm Schmerz zufügt oder seinen Partner
erschießt.