Die Seele des A…lochhundes
Ich möchte heute einmal eine Geschichte aus meinem
beruflichen Alltag erzählen, die meiner Meinung nach symptomatisch für das
Verständnis von Mensch gegenüber Hunden ist.
Anruf als „letzte
Hoffnung“
Ich hatte einen Kundentermin bei einer Familie mit einer
Hunderasse, die, wie ich finde, heute viel zu selten zu sehen ist. Der
Mittelschnauzer war zu der jungen Familie gekommen, weil der Vater daheim, auf
einem landwirtschaftlichen Betrieb, mit Hunden der Rasse aufgewachsen war.
Der Schnauzer kam als Welpe zur Familie, wuchs in den ersten
zwei Jahren relativ problemlos auf. Als die Familie meine Hilfe in Anspruch
nahm, war der Hund knapp drei Jahre alt. Als mich die Mutter anrief, war das
einer der Anrufe, wo mir gesagt wurde, dass man schon alles probiert hätte, es
nicht besser würde und ich die letzte Hoffnung wäre. Das höre ich leider oft –
obwohl ich es so nicht wirklich gerne höre. Weil ich schon unter emotionalem
Druck stehe, bevor ich den Hund überhaupt gesehen habe. Aber gut, daran gewöhnt
man sich im Lauf der Zeit – was mich ernsthaft ärgert ist die Tatsache, dass,
bevor ich als letzte Hoffnung gerufen werde, schon so viel Porzellan
zerschlagen wurde…(c) Fotolia |
Der unbekannte
Schlaftrakt
Was war das Problem des Hundes? Nun, auf dem Bauernhof, auf
dem der Familienvater aufgewachsen war, durften Hunde nicht mit ins Haus – und
schon gar nicht in das Schlafzimmer. So wurde es auch mit dem Hund gehalten,
der jetzt im schicken Neubau der Familie lebte. Zwar hatte die Frau
durchgesetzt, dass der Hund im Haus leben darf, allerdings mit dem Kompromiss,
dass der Schlafbereich tabu war. Der Schlafbereich bestand aus einem vom
Hausflur ausgehenden Gang, der an seinem Ende das Elternschlafzimmer hatte und
an dem links und rechts die Kinderzimmer angemauert waren. Der Hund sollte den
Gang zu den Schlafzimmern und die Schlafzimmer selbst nicht betreten. Man hatte
ihm von Welpenbeinen an „klargemacht“, dass er keine Pfote in den Schlaftrakt
setzen dürfe. Wie genau sie ihm das „klargemacht“ hatten, konnte ich nicht
erfahren, es wurde mir aber versichert, dass es verbal passiert sei. Zusätzlich
zum verbalen Verbot den Gang zu betreten, wurde ein Kindergitter angebracht,
wenn der Hund einmal allein daheim sein musste – der Vater wollte aufgrund
seiner eigenen Prägung strikt verhindern, dass der Hund der Schlaftrakt
betritt. Der Hund hatte also den Bereich des Hauses noch nie gesehen, bzw.
betreten.
Die erste Chance
Nun zum Problem. Der Hund bellte seit ca. einem Jahr in die
Richtung des Schlaftraktes. Die Besitzer konnten es sich nicht erklären, warum
er das machte. Sie hatten als einzige Strategie für sich das Anschreien
entdeckt, was den Hund für ca. 10 Sekunden „ruhig stellte“, wonach er wieder
loslegte. So kam es, dass sie einen mobilen Hundetrainer engagierten. Die erste
Hoffnung sozusagen. Dieser vermittelte ihnen, dass der Hund die Chefrolle im
Haus übernehmen möchte und sich durch das Bellen den Zutritt zu den
Schlafzimmern erstreiten wolle. Man müsse nur klar kommunizieren, dass er das
nicht darf, und dann wäre es gut. Seine Strategie: Immer wenn der Hund bellte,
schoss der Trainer hervor und rempelte ihn an – was die Besitzer auch machen
sollten, damit der Hund klipp und klar erkennen würde, wer im Haus das Sagen
hätte. Gut, so wie die Besitzer schilderten, bellte der Hund trotz dieser
Therapie munter weiter, achtete aber immer darauf, wenn die Besitzer zum
Rempeln angelaufen kamen, ihnen aus dem Weg zu gehen. Für ein Tier mit den
hochsensiblen Wahrnehmungsfähigkeiten eines Hundes nicht wirklich ein Problem…
„Still sein“ wird
belohnt
Da das nicht funktioniert hatte, wurde eine Hundeexpertin,
quasi die zweite Chance, engagiert. Auch diese glaubte, dass der Hund ins
Schlafzimmer möchte, glaubte aber nicht an den Wunsch, dass der Hund in der
„Familienrangordnung“ eine führende Rolle einnehmen wollte. Für sie war es
einfach ein Betteln, mit dem Ziel in der Nähe seiner Menschen zu sein. Wobei
sie anscheinend außer Acht ließ, dass der Hund auch bellte, wenn niemand im
Schlafzimmer war. Sie ging das Problem so an, dass sie den Besitzern riet, sich
neben den Hund zu stellen, wenn er bellte. Und immer, wenn er zwischendrin mal
Luft holte, nicht bellte, sollte ein Wort wie „still“ gesagt werden und dann
eine Belohnung gegeben werden. Das wirkte schon deutlich besser, sagten die
Besitzer – der Hund lernte recht schnell, wenn er bellte und das Wort „still“
hörte, dass es eine angenehme Folge für ihn hatte, wenn er still war. Doch es
wirkte nur eine Zeit. Irgendwann ignorierte er das Wort und fiel in sein altes
Muster zurück…
Scheppernde Schrauben
und Muttern
Worauf eine – sie werden es ahnen – dritte Chance engagiert
wurde. Wieder eine neue Expertin, die nun wieder das aufgriff, was die erste
Chance, der männliche Experte, zu wissen glaubte. Der Hund wolle eine Führungsrolle
durchsetzen, das Revier inklusive Schlafräumen komplett erobern. Ihre
Lösungsstrategie: Immer wenn der Hund bellt, ihm eine mit Schrauben und Muttern
gefüllte Plastikflasche vor die Nase zu werfen.
Und, werden Sie sich jetzt fragen? War das von Erfolg
gekrönt? Nun, der Hund bellte danach immer noch, aber anders. Er bellte immer
noch in die Richtung des Schlaftraktes, achtete dabei aber gleichzeitig immer
darauf, wann die Flasche geflogen kam… Zudem kamen weitere Probleme hinzu. Der
Hund fürchtete sich plötzlich beim Gassigang vor Autos, vor fast allem was
Geräusche verursacht. Außerdem häuften sich plötzlich Attacken von ihm auf
andere Hunde. War er früher ein mit Artgenossen verträglicher Typ, reichte es
jetzt anscheinend schon aus, wenn ihn ein Hund schief anschaute.
Da das Problem nicht wirklich gelöst war und nach einem Jahr
„Training und Therapie“ noch weitere Probleme hinzukamen, wurde was gemacht?
Richtig – eine weitere Chance engagiert. Und die letzte, die meinen Namen trug.
Zwecklos, weil A…lochhund?
Als ich kam, sagte mir der Familienvater, wohl wegen der
vielen vertanen Chancen, dass es ja im Grunde sowieso zwecklos wäre. Der Hund
sei halt ein „Arschlochhund“, der nicht nur daheim das Zepter übernehmen wolle,
sondern nun auch noch draußen andere Hunde attackieren würde.
Nun gut, es würde jetzt zu lange dauern, genau zu erläutern,
wie ich die Familie befragte, wie ich mir das Haus und das Umfeld des Hundes
anschaute. Ich mache es kurz. Ich habe die Familie überredet, den Hund doch
einmal in den Schlaftrakt zu lassen. Er wollte diesen zunächst nicht betreten.
Mit Leckerchen ließ er sich dann doch hineinlocken – und einmal drin erkundete
er die Räume genau und schritt wieder hinaus. Zudem habe ich gebeten, ein
Mobilee zu entfernen, welches seit ca. einem Jahr in einem der Kinderzimmer
angebracht war und Zeitweise leise, aber klimpernde Geräusche verursachte, vor
allem, wenn durch gekippte Fenster ein leichter Zug durch die Räume ging. Der Hund war einmal im Schlaftrakt, das Mobilee wurde entfernt. Das
ist jetzt vier Monate her. Und der Hund bellt nicht mehr…
Hund bellt nicht
mehr, nachdem „Gefahr“ beseitigt wurde
Ich gehe stark davon aus, dass der Hund in dem ihm völlig
unbekannten Schlaftrakt irgendeine Gefahr vermutete, vielleicht ausgelöst durch
das Klimpermobilee – zeitlich erscheint es plausibel. Das Problem konnte
schnell und unkompliziert beseitigt werden. Ein schöner schneller Erfolg bei
der Hilfestellung zum Problem mit dem Bellen. Die Geräuschangst des Hundes
allerdings, die ebenfalls plausibel mit
großer Wahrscheinlichkeit auf das Werfen der Schraubenflasche zurückzuführen ist,
wird mehr Arbeit erfordern – ebenso wie das möglicherweise durch den Stress der
Geräuschangst entstandene dünne Nervenkostüm des Hundes, welches ihn nun bei
Hundebegegnungen dazu bringt, schneller die Fassung zu verlieren.
Probleme durch „Experten“
verstärkt
Ängstlich und nicht mehr verträglich mit Hunden. Weil Experten
sich nicht die Mühe gemacht haben, die Gründe für das Verhalten zu erforschen
und zu hinterfragen. Bzw. völlig absurdes „Chefgehabe“ als Grund ansahen.
Stattdessen haben sie durch „Training“ und Aktionismus neue Probleme geschaffen
und die Seele des Hundes verängstigt und in Scherben gelegt. Und
unsereins darf die Scherben zusammenkehren. Die Scherben eines missverstandenen
Hundes, der bestimmt kein A…loch ist.
„Da hätten die Leute doch auch selbst drauf kommen können“,
wird möglicherweise mancher jetzt denken. Vielleicht hätten sie das. Doch die
Denkweise rund um Hunde ist heute durch einseitige Gedanken so vernebelt, dass die einfachsten
Zusammenhänge oft nicht gesehen werden. Ich habe die Familie gefragt, ob ich
ihre Geschichte aufschreiben darf. Und sie waren einverstanden. Mit der
Hoffnung, dass sich andere dadurch vielleicht schneller aus dem Nebel befreien.
Noch bevor die Seele eines Hundes in Scherben liegt…