Wenn der Hund das Menschenrudel führt
Es gibt im Tierreich viele Symbiosen unterschiedlicher
Tierarten. Gekennzeichnet sind diese Symbiosen meist mit leicht erkennbarem
gegenseitigem Nutzen. Zu nennen sind da als Beispiel Vögel, die verschiedenen Huftieren dabei
helfen, ihre Parasiten loszuwerden. Es gibt aber auch Symbiosen, oder hier
besser „Lebensgemeinschaften“ verschiedener Arten, die vielleicht überraschend
wirken mögen. Zum Beispiel wird beobachtet, dass sich manchmal Dachse und
Füchse eine Bauanlage teilen. Den gegenseitigen Nutzen kann man nur in Theorien
erkennen – vermutlich nutzen die eher faulen Füchse die Bauanlagen der Dachse
um sich selbst keine Baue graben zu müssen. Und die Dachse profitieren von der
Wachsamkeit des Fuchses. Ebenso, was noch erstaunlicher scheint, teilen sich
manchmal Füchse und Kaninchen Bauanlagen. Die jeweilige Fuchsfamilie frisst
dabei „ihre“ Kaninchen nicht. Auch hier sorgt vermutlich wieder der
gegenseitige Nutzen aus buddelfreudigen Kaninchen und „Wachhund“ Fuchs für die Win-win-Situation.
Es gibt noch unzählige weitere Lebensgemeinschaften unterschiedlicher Arten –
man könnte hier noch Krokodile und Vögel nennen, die gegenseitig ihre Eier
bewachen usw. Meist sind diese Lebensgemeinschaften aber auf den direkten
Nutzen beschränkt, echte Interaktionen kommen unter den Arten nicht wirklich
vor.
Wölfe und Raben
Das passiert aber bei einer weiteren tierischen Artengemeinschaft.
Bei Wölfen und Raben, die oft gemeinsam Leben und sich gegenseitig so nutzen,
dass die Raben gute Wächter und Signalgeber sind. Und Wölfe ihnen Nahrungsreste
bescheren… Doch kann man bei diesen
Arten beobachten, dass tatsächlich teilweise eine echte Interaktion
untereinander stattfindet. So wurden Wölfe und Raben beobachtet, die so
miteinander agierten, dass man wirklich von artübergreifendem Spielverhalten
sprechen kann.
Artübergreifenden Lebensgemeinschaften
Es gibt also unterschiedliche Tierarten, die in so etwas wie
artübergreifenden Lebensgemeinschaften leben. Mal einfach auf Nutzen aufgebaut,
mal geht es weiter – teilweise in überartliche Formen von Sozialverbänden. Die
Tatsache wird heute immer häufiger in Beobachtungen und Interpretationen von
tierischem Sozialverhalten einbezogen.
Der Rabe als Rudelführer bei den Wölfen?
Was allerdings alle Beobachtungen belegen ist die weitere
Tatsache, dass sich die verschiedenen Arten selbst sehr gut unterscheiden
können. Ein Fuchs weiß, dass er ein Fuchs ist, selbst, wenn er in der Nähe von
Kaninchen aufgewachsen ist. Und ein Wolf versucht nicht zu fliegen, nur weil er
als Welpe mit einem Raben gespielt hat. Zudem zeigen alle Tiere in einer
überartlichen Gemeinschaft deutlich mehr Konkurrenzverhalten gegenüber
Artgenossen, als gegenüber den Sozialpartnern anderer Arten. Die nutzen nämlich
und sind keine Konkurrenten wie die Artgenossen. Es wäre recht merkwürdig zu glauben,
dass sich ein Fuchs zum Chef der Dachsfamilie aufschwingen möchte oder ein Rabe
das Leittier eines Wolfsrudels werden möchte. Die Tiere wissen sehr genau, was
sie sind und was nicht. Ein Rabe ist ein Rabe und ein Wolf ist ein Wolf. Aber
sie können kooperieren und sich aneinander anpassen.
Menschen und Hunde
So weit so gut. Widmen wir uns einer weiteren überartlichen
Gemeinschaft. Der des Menschen und des Hundes. Auch hier kann man davon
ausgehen, dass diese Gemeinschaft ganz am Anfang durch zufälligen Nutzen
geprägt war. Wölfe nutzten ggf. die Nahrungreste der Menschen, dafür kam den
Menschen vermutlich zugute, dass Wölfe Beute besser aufspüren konnten und mit
ihren Sinnen auch hervorragende „Warner“ vor Gefahren waren. Daraus hat sich
dann wohl die komplexeste aller überartlichen Sozialgemeinschaften entwickelt.
Ich möchte garnicht auf das komplexe Selektionsgeschehen eingehen, welches den Wölfen
widerfahren ist, nachdem Menschen in der Lage waren, gezielt den Nutzen der
Wolfseigenschaften zu selektieren und zu verstärken. Und somit den Hund
schufen. Wie gesagt, die überartliche Gemeinschaft von Mensch und Hund ist
sicher die koplexeste, die uns auf sozialem Sektor bekannt ist. Das heißt aber
noch nicht, dass Hunde nicht wissen, dass sie Hunde sind und sich für Menschen
halten. Ganz bestimmt nicht - eigentlich
kann jeder selbst beobachten, dass sich Hunde anderen Hunden gegenüber anders
verhalten als Menschen gegenüber. Auch hier kann man wieder feststellen, dass
der Mensch „nützlich“ ist und Artgenossen eher als Konkurrenten angesehen
werden. Das gleiche Grundmuster wie bei allen anderen überartlichen
Lebensgemeinschaften.
Der Hund als Rudelführer bei den Menschen?
Darum ist die unter Menschen weit verbreitete Annahme, dass
Hunde, wenn man es nicht konsequent verhindern würde, gern die Führung eines „Mensch
/ Hund – Rudels“ übernehmen möchten, als absurd anzusehen. Genau wie Wölfe und
Raben keine Rudel bilden, können das auch Menschen und Hunde nicht. Es sind
überartliche Lebensgemeinschaften, mit sozialer Anpassung – aber immer noch
komplett unterschiedliche Arten. Und Hunde wissen das auch. Beim Menschen bin
ich mir da nicht immer so sicher…
Absurder Glaube
Wie gesagt, es ist geradezu absurd zu glauben, dass Hunde
eine Leitungsfunktion, eine Chefrolle gegenüber ihren Menschen einnehmen
möchten. Klar, es gibt sicher selbstbewusste Hundeindividuen, die schnell
lernen mit welchem Blick sie ihren Menschen „weichkochen“ um an Futter zu
kommen. Andere erreichen das vielleicht durch forderndes Verhalten. Aber das
sind erlernte Verhaltensmuster, wie man Menschen am besten „nutzt“. Das hat
nichts mit Rudelführung zu tun. Das ist auch immer situativ und individuell.
Populismus und eine andere Art von Vermenschlichung
Es ist in der Natur also eher ungewöhnlich, dass eine Art
die Führung über eine andere Art anstrebt. Den Drang verspürt wohl nur der
Mensch – und übertreibt in seinen Gedankenmodellen da meist maßlos. Darum ist
der Gedanke, dass Hunde Chefs über Menschen sein möchten, wohl eine der größten
Vermenschlichungen, die man sich ausdenken kann. Wird aber leider in
populistischer Weise immer wieder von Menschen genutzt, die mit Ängsten der
Hundehalter spielen um ihre Philosophie- und Geschäftsmodelle der
Hundeerziehung zu vermarkten.
Anpassung und Kooperation statt Rudelführung
Lassen Sie sich davon nicht verrückt machen – Hunde wissen
genau, dass sie Hunde sind. Sie wollen Menschen nicht unterdrücken. Sie möchten
eigentlich nur friedlich mit ihnen in einer überartlichen Lebensgemeinschaft
leben und auch ihren persönlichen Nutzen daraus ziehen. Sei es Nahrung und /
oder Sicherheit. Und diesen Nutzen bekommt Hund nicht, wenn er auf
Konfrontation aus ist. Anpassung und Kooperation führen viel schneller zum
Futter oder zu Streicheleinheiten. Die auch überartlich als angenehm
wahrgenommen werden. Vom Menschen und vom Hund J