Nicht streicheln? Nehmt ihnen die Erlaubnis weg...


Eben beim Gassigang erneut von einer Hundehalterin gehört, dass ihr in der Hundeschule gesagt wurde, dass sie ihren Hund nicht streicheln solle, wenn er bei der Silvesterknallerei zu ihr kommt, sich zu ihr legen, an sie drücken möchte oder auf den Schoß springen möchte. Das solle man alles nicht erlauben, den Hund bloß nicht streicheln – sondern ihn wegschicken oder aufstehen und nicht weiter beachten. Weil man durch Zuwendung die Furcht vor der Knallerei nur verstärken würde. Aussage einer professionellen, gewerblichen Hundeschule. Mit Erlaubnis der zuständigen Behörde in diesem Beruf zu arbeiten, weil die Sachkunde nachgewiesen wurde.
Herrschaftszeiten nochmal!
(c) fotolia
Angst und Furcht sind unangenehme Gefühle, die uns vor Schaden bewahren sollen. Die beste Möglichkeit einem Schaden zu entgehen ist die angeborene Strategie, ängstigenden oder furchteinflößenden Dingen aus dem Weg zu gehen. Geht das nicht, ist es auch möglich über beruhigende Maßnahmen angenehmere Gefühle im Körper hervorzurufen, die den unangenehmen Gefühlen gegenwirken. Streicheln, enger Körperkontakt und Zuwendung, sofern vom Individuum als angenehm empfunden und gewünscht, rufen zum Beispiel durch unterschiedliche hormonelle Vorgänge gute Gefühle hervor. Und da, wie gesagt, gute Gefühle unangenehmen Gefühlen entgegenwirken und in psychisch belastenden Situationen für Entspannung sorgen, ist das Streicheln bei Silvesterangst das erste Mittel der Wahl. Wenn der Hund diese soziale Unterstützung sucht und braucht. Allerdings sollte man dem Hund diese Unterstützung nicht aufzwängen – man sollte auch nicht hingehen und ihn „gewaltsam“ unter der Couch hervorziehen und ihm dann Streicheleinheiten aufzwängen. Man kann ihm Zuwendung anbieten, z. B. indem man sich auf den Boden setzt. Möchte der Hund sich aber verkriechen, weil er sich in einer „Höhle“ sicherer fühlt und er diese Strategie wählt, sollte man ihm diese Wahl erlauben – und sie auch unterstützen, indem man ihm Höhlenzugänge erlaubt. Kommt der Hund aber und sucht unsere Zuwendung, unseren Schutz und die guten Gefühle die durch streicheln entstehen, müssen wir diese unserem Hund geben.
Nicht bei jedem kleinen Geräusch durchdrehen
Klar, wir sollten nicht bei jedem kleinen Geräusch merkwürdig reagieren und einen Hund mit hoher Stimme dauertrösten oder bequatschen, wenn er noch gar keine Angst hat. Das könnte ihn stutzig machen. Vielleicht denkt er, dass Herrchen oder Frauchen durchgedreht sind und davor bekommt er Angst 😉 Auf jeden Fall könnte er das merkwürdige Verhalten seiner Besitzer mit den Geräuschen verknüpfen und dadurch überhaupt erst eine Skepsis diesen gegenüber entwickeln, die sich zu einer Furcht bis Panik steigern kann. Wie gesagt, das könnte ggf. passieren, wenn ich einen Hund, der sich nicht fürchtet, durch mein merkwürdiges Verhalten ängstige…
Bei Furcht Zuwendung!
Hat ein Hund aber schon Angst oder fürchtet sich gar konkret vor etwas. Und er möchte dann gute Gefühle von uns haben um die unangenehmen Gefühle zu bekämpfen. Dann sind wir verpflichtet, dem Hund durch Zuwendung und streicheln dabei zu helfen, die angenehmen Gefühle zu entwickeln um die unangenehmen Gefühle zu bekämpfen. Das ist unsere soziale Pflicht unserem von uns abhängigen Sozialpartner Hund gegenüber. Abweisen, vorenthalten der Unterstützung oder ignorieren sind in dem Fall höchst unsozial. Und unfair dem Hund gegenüber. Um das grundsätzlich zu verstehen kann man sich merken, dass Angst und Furcht kein Verhalten sind, sondern Gefühle. Verhalten würde man zwar durch angenehme Zuwendung verstärken können – unangenehme Gefühle dagegen schwächt man ab, wenn man angenehme Zuwendung liefert.
Grundwissen für Hundeprofis
Das ist heute tierpsychologisches und neurobiologisches Grundwissen, welches jeder, der professionell mit Hunden arbeitet, wissen sollte. Wer das nicht weiß, lässt das nötige Wissen, die nötige Sachkunde vermissen, die vom Gesetzgeber für die Ausübung dieses Berufes verlangt wird. Darum bin ich der Meinung, dass man professionellen Hundeschulen die Erlaubnis entziehen sollte, wenn sie behaupten, man dürfe verängstigte Hunde nicht streicheln. Zumindest solange, bis sie über eine akzeptable Sachkunde verfügen.
Regaliz fürchtet sich
Mein Hund Regaliz (Rasse: Fußhupenmix) fürchtet sich vor der Silvesterknallerei. Nicht vor einzelnen Knallern im Vorfeld, er ist nicht grundsätzlich geräuschempfindlich. Wenn allerdings 30 Minuten lang kein Ende abzusehen ist, zittert er sich in seine Furcht hinein. Dann kommt er zu mir, springt auf meinen Schoß. Und wird dann von mir gestreichelt – so dass ich förmlich spüren kann, wie jeder Streichelzug erfolgreich gegen die Furcht kämpft und Stück für Stück für Entspannung sorgt. Würde ich das bei ihm nicht machen, wäre ich schlicht asozial…
Jitka schläft

Zwischendrin klemme ich mir den Kleinen streichelnd unter den Arm und schaue nach, wie es Jitka geht (Samojedenhündin). Wenn es läuft wie im vergangenen Jahr, wird sie im Flur liegen, im Tiefschlaf alle Viere in die Luftstrecken – wie immer nachts um 24 Uhr. Dann werde ich sie weiterschlafen lassen und erst gar nicht auf die Knallerei aufmerksam machen.
Sozial und sachkundig – nicht asozial
Der Kleine bekommt aber solange und soviel Zuwendung, wie er braucht. Das befiehlt mir nicht nur mein Wissen, meine Sachkunde und das soziale Zusammenleben. Das befiehlt mir auch mein Mitgefühl und meine Verantwortung dem kleinen Lebewesen gegenüber, welches mir bedingungslos vertraut…

In diesem Sinne wünsche ich allen, dass sie so entspannt wie möglich ins neue Jahr rutschen.
Alles Gute für 2019!

(PS – Hunde, die besonders stark unter der Knallerei leiden, kann man auch mit passenden Medikamenten helfen. Dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden. Besprechen Sie das aber ausführlich mit Ihrem Tierarzt und achten Sie darauf, dass es auf keinen Fall Mittel sind, die nur den Körper lahm legen. Dabei wird die Knallerei noch wahrgenommen, der Hund kann sich nur nicht bewegen. Das ist ganz schlimm, das müssen Sie dem Hund ersparen. Darum ist ein intensives Gespräch mit dem Tierarzt unabdingbar, wenn sie Medikamente unterstützend einsetzen wollen. Aber auch dann gilt: Zuwendung nicht vergessen 😉)

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