Nicht streicheln? Nehmt ihnen die Erlaubnis weg...
Eben beim Gassigang erneut von einer Hundehalterin gehört,
dass ihr in der Hundeschule gesagt wurde, dass sie ihren Hund nicht streicheln
solle, wenn er bei der Silvesterknallerei zu ihr kommt, sich zu ihr legen, an
sie drücken möchte oder auf den Schoß springen möchte. Das solle man alles
nicht erlauben, den Hund bloß nicht streicheln – sondern ihn wegschicken oder
aufstehen und nicht weiter beachten. Weil man durch Zuwendung die Furcht vor
der Knallerei nur verstärken würde. Aussage einer professionellen, gewerblichen
Hundeschule. Mit Erlaubnis der zuständigen Behörde in diesem Beruf zu arbeiten,
weil die Sachkunde nachgewiesen wurde.
Angst und Furcht sind unangenehme Gefühle, die uns vor
Schaden bewahren sollen. Die beste Möglichkeit einem Schaden zu entgehen ist
die angeborene Strategie, ängstigenden oder furchteinflößenden Dingen aus dem
Weg zu gehen. Geht das nicht, ist es auch möglich über beruhigende Maßnahmen angenehmere
Gefühle im Körper hervorzurufen, die den unangenehmen Gefühlen gegenwirken.
Streicheln, enger Körperkontakt und Zuwendung, sofern vom Individuum als
angenehm empfunden und gewünscht, rufen zum Beispiel durch unterschiedliche
hormonelle Vorgänge gute Gefühle hervor. Und da, wie gesagt, gute Gefühle
unangenehmen Gefühlen entgegenwirken und in psychisch belastenden Situationen
für Entspannung sorgen, ist das Streicheln bei Silvesterangst das erste Mittel
der Wahl. Wenn der Hund diese soziale Unterstützung sucht und braucht. Allerdings
sollte man dem Hund diese Unterstützung nicht aufzwängen – man sollte auch
nicht hingehen und ihn „gewaltsam“ unter der Couch hervorziehen und ihm dann
Streicheleinheiten aufzwängen. Man kann ihm Zuwendung anbieten, z. B. indem man
sich auf den Boden setzt. Möchte der Hund sich aber verkriechen, weil er sich
in einer „Höhle“ sicherer fühlt und er diese Strategie wählt, sollte man ihm
diese Wahl erlauben – und sie auch unterstützen, indem man ihm Höhlenzugänge
erlaubt. Kommt der Hund aber und sucht unsere Zuwendung, unseren Schutz und die
guten Gefühle die durch streicheln entstehen, müssen wir diese unserem Hund
geben.
Nicht bei jedem kleinen Geräusch durchdrehen
Klar, wir sollten nicht bei jedem kleinen Geräusch
merkwürdig reagieren und einen Hund mit hoher Stimme dauertrösten oder
bequatschen, wenn er noch gar keine Angst hat. Das könnte ihn stutzig machen.
Vielleicht denkt er, dass Herrchen oder Frauchen durchgedreht sind und davor
bekommt er Angst 😉 Auf jeden Fall könnte er das merkwürdige
Verhalten seiner Besitzer mit den Geräuschen verknüpfen und dadurch überhaupt
erst eine Skepsis diesen gegenüber entwickeln, die sich zu einer Furcht bis
Panik steigern kann. Wie gesagt, das könnte ggf. passieren, wenn ich einen
Hund, der sich nicht fürchtet, durch mein merkwürdiges Verhalten ängstige…
Bei Furcht Zuwendung!
Hat ein Hund aber schon Angst oder fürchtet sich gar konkret
vor etwas. Und er möchte dann gute Gefühle von uns haben um die unangenehmen
Gefühle zu bekämpfen. Dann sind wir verpflichtet, dem Hund durch Zuwendung und streicheln
dabei zu helfen, die angenehmen Gefühle zu entwickeln um die unangenehmen
Gefühle zu bekämpfen. Das ist unsere soziale Pflicht unserem von uns abhängigen
Sozialpartner Hund gegenüber. Abweisen, vorenthalten der Unterstützung oder
ignorieren sind in dem Fall höchst unsozial. Und unfair dem Hund gegenüber. Um
das grundsätzlich zu verstehen kann man sich merken, dass Angst und Furcht kein
Verhalten sind, sondern Gefühle. Verhalten würde man zwar durch angenehme
Zuwendung verstärken können – unangenehme Gefühle dagegen schwächt man ab, wenn
man angenehme Zuwendung liefert.
Grundwissen für Hundeprofis
Das ist heute tierpsychologisches und neurobiologisches
Grundwissen, welches jeder, der professionell mit Hunden arbeitet, wissen
sollte. Wer das nicht weiß, lässt das nötige Wissen, die nötige Sachkunde
vermissen, die vom Gesetzgeber für die Ausübung dieses Berufes verlangt wird.
Darum bin ich der Meinung, dass man professionellen Hundeschulen die Erlaubnis
entziehen sollte, wenn sie behaupten, man dürfe verängstigte Hunde nicht
streicheln. Zumindest solange, bis sie über eine akzeptable Sachkunde verfügen.
Regaliz fürchtet sich
Mein Hund Regaliz (Rasse: Fußhupenmix) fürchtet sich vor der
Silvesterknallerei. Nicht vor einzelnen Knallern im Vorfeld, er ist nicht grundsätzlich
geräuschempfindlich. Wenn allerdings 30 Minuten lang kein Ende abzusehen ist,
zittert er sich in seine Furcht hinein. Dann kommt er zu mir, springt auf
meinen Schoß. Und wird dann von mir gestreichelt – so dass ich förmlich spüren
kann, wie jeder Streichelzug erfolgreich gegen die Furcht kämpft und Stück für
Stück für Entspannung sorgt. Würde ich das bei ihm nicht machen, wäre ich
schlicht asozial…
Jitka schläft
Zwischendrin klemme ich mir den Kleinen streichelnd unter
den Arm und schaue nach, wie es Jitka geht (Samojedenhündin). Wenn es läuft wie
im vergangenen Jahr, wird sie im Flur liegen, im Tiefschlaf alle Viere in die
Luftstrecken – wie immer nachts um 24 Uhr. Dann werde ich sie weiterschlafen
lassen und erst gar nicht auf die Knallerei aufmerksam machen.
Sozial und sachkundig – nicht asozial
Der Kleine bekommt aber solange und soviel Zuwendung, wie er
braucht. Das befiehlt mir nicht nur mein Wissen, meine Sachkunde und das
soziale Zusammenleben. Das befiehlt mir auch mein Mitgefühl und meine
Verantwortung dem kleinen Lebewesen gegenüber, welches mir bedingungslos
vertraut…
In diesem Sinne wünsche ich allen, dass sie so entspannt wie
möglich ins neue Jahr rutschen.
Alles Gute für 2019!
(PS – Hunde, die besonders stark unter der Knallerei leiden,
kann man auch mit passenden Medikamenten helfen. Dagegen ist überhaupt nichts
einzuwenden. Besprechen Sie das aber ausführlich mit Ihrem Tierarzt und achten
Sie darauf, dass es auf keinen Fall Mittel sind, die nur den Körper lahm legen.
Dabei wird die Knallerei noch wahrgenommen, der Hund kann sich nur nicht
bewegen. Das ist ganz schlimm, das müssen Sie dem Hund ersparen. Darum ist ein
intensives Gespräch mit dem Tierarzt unabdingbar, wenn sie Medikamente unterstützend
einsetzen wollen. Aber auch dann gilt: Zuwendung nicht vergessen 😉)