Strukturen und Regeln im Hundeleben (Serie: KLARTEXTHUND kurz und knapp)
Rund um die Hundeerziehung, bzw. rund um das Zusammenleben von Mensch und Hund, findet man immer wieder knappe Aussprüche und „Weisheiten“. Diejenigen, die sie anwenden, setzen oftmals den „selbsterklärenden“ Charakter dieser Aussprüche voraus, und nutzen solche Schlagworte auch gern, um z. B. Diskussionen abzuwürgen und ihren Standpunkt vermeintlich seriös zu untermauern. Das heißt übrigens nicht, dass immer alles schlecht ist, was kurz und knapp gesagt wird – allerdings sollte man hier und da vielleicht doch einmal nachfragen, was gemeint ist. Und sei es nur zum eigenen Verständnis, was der „Aussprechende“ denn wirklich meint…
Mit „KLARTEXTHUND kurz und knapp“ möchte ich einige dieser knappen „Weisheiten“ einmal näher vorstellen und genauso kurz und knapp, wie die die Aussagen gemeint sind, den Sinn hinterfragen. Das ersetzt keine tiefgehende Auseinandersetzung mit dem Thema, kann aber ganz bestimmt dazu beitragen, dass nicht immer alle Schlagworte so hingenommen werden und man durchaus einmal nachfragt, was der Aussprechende wirklich meint.
Im ersten Teil dieser Serie möchte ich mich mit folgender Floskel beschäftigen:
„Hunde brauchen klare Regeln und Strukturen“
Nun, prinzipiell ist daran nichts auszusetzen. Lebewesen, die in Gruppen, in sozialen Gemeinschaften leben, brauchen Regeln und Strukturen, die das Zusammenleben überhaupt ermöglichen. Dass Strukturen wichtig sind, ist völlig unbestritten – lassen wir dabei aber mal außen vor, wie Strukturen überhaupt entstehen. Ob durch sozialen Druck oder persönliche Erkenntnisse bzgl. des eigenen Vorteils. Dann würde hier aus „kurz und knapp“ schnell eine Seitenlange Abhandlung…
Betrachten wir den Spruch daher einfach in dem Kontext, in dem er genutzt wird und schauen uns an, welche Kernaussage meist mit ihm verbunden wird. Um die Kernaussage herauszufinden, die die meisten Menschen mit diesem Spruch assoziieren, habe ich in Kundengesprächen und bei Gesprächen mit „Hundeexperten“ in den letzen Monaten gezielt nachgefragt, wenn die Rede auf die Strukturen und Regeln kam. Und auf meine Frage, was man denn unter „Strukturen und Regeln“ im Hundeleben verstehe, kam bei über 2/3 der (nebenbei, fast unbemerkt) Befragten folgende Antwort: „Strukturen bedeutet, dass Hunde Regeln einhalten müssen, nicht alles machen dürfen was sie möchten, wissen was sie nicht dürfen und dass sie das machen, was ich von Ihnen verlange.“
Wie einige Halter und Kollegen die Einhaltung dieser Regeln durchsetzten sei an dieser Stelle nicht genauer erläutert…
Also, für mich persönlich erschreckend häufig wird unter Strukturen verstanden, dass man dem Hund beibringt, was er alles nicht darf.
Strukturen dürfen nicht nur Verbote beinhalten!
Natürlich gehört es zu Regeln und Strukturen, dass ein Lebewesen lernt, was es nicht darf und welches Verhalten in der oder jener Situation von ihm erwartet wird. Aber, und das ist ein lautes „aber“ an dieser Stelle! Wenn ein „Hundeexperte“ einem Hundehalter etwas von Strukturen erzählt und diesem bei Nachfrage, was Struktur bedeute, nur antwortet man müsse dem Hund seine Grenzen aufzeigen – dem sollte man, im KLARTEXT gesagt, das „Experte“ aus dem Wort Hundeexperte streichen…
Strukturen bedeutet nämlich nicht nur, dass man dem Hund mitteilt, was er alles nicht darf. Das ist und sollte, zwar ein wichtiger, aber nur kleiner Teil im Zusammenleben von Mensch und Hund sein. Strukturen sind in erster Linie dazu da, dem Hund Sicherheit zu bieten, Orientierungspunkte für die Strukturierung seines Lebens und auch seiner sozialen Interaktionen zu geben. Dazu gehört zum Beispiel, dem Hund in schwierigen Situationen „vorzuleben“ wie man ruhig und souverän damit umgeht. Man muss dem Hund ein Anker sein, ein Punkt, an dem er sich orientiert, wenn er selbst mit etwas nicht umgehen kann.
Wissen, was man DARF
Weiter gehört zum Strukturierten Leben, dass der Hund auch weiß, was er darf. Wenn der Hund „richtiges“ Verhalten (oder das, was der Mensch dafür hält) von sich aus zeigt, und wenn Mensch es als noch so normal ansieht, muss dem Hund auch mal Feedback gegeben werden – das heißt ich muss ihn auch mal loben, wenn er etwas macht, was in meinen Augen wünschenswert ist.
Ich höre jetzt schonwieder die ganzen „Antiwattebauschkollegen“ ;-) aufschreien, dass man den Hund nicht immer mit Lob und Leckerchen überfrachten soll. Und, zu deren Überraschung – das meine ich damit auch gar nicht! Ich meine nicht, dass man jedes Ohrwackeln bestätigt oder nicht. Ich schleppe im Alltag auch nicht immer und überall einen Leckerchenbeutel mit mir herum (Leckerchen sind zum gezielten Training natürlich okay, sollten aber nicht den Alltag bestimmen…). Ich teile den Hunden einfach durch freundliche Ansprache oder auch mal eine Streicheleinheit mit, das eine Handlung von ihm okay war (z. b. er wartet von sich aus auf mich, wenn ich trödele – oder er sieht eine Ente und beachtet diese nicht). Und, um konkret dabei zu bleiben, was er DARF. Wenn er sich an den Platz legt, der ihm gefällt und den ich auch für ihn gut finde, sage ich einfach mal ein freundliches Wort, wenn er dort ist oder sich dort hinbegibt. Einfach mal ein nettes Wort, ein „Streichler“, wenn der Hund etwas macht, was er darf – ohne ihn gleich mit Lob für jede Bewegung zu überschütten. Weiter gehört zu einem strukturierten Leben, dass ein Hund weiß, wo er sicher ist und nicht belästigt wird – z. B. ist es ganz wichtig, gerade in einem Haushalt mit Kindern, dem Hund einen Rückzugsort zu lassen, wo er nicht belästigt oder bedrängt wird, wohin er sich zurückziehen kann, wenn er Ruhe möchte. Er muss zudem wissen, wo und auch wann es in der Regel Futter gibt etc. Ein Hund muss die Gegebenheiten seines Reviers und Umfelds einschätzen können – es muss eben eine Struktur erkennbar sein und kein Chaos, dessen Bewältigung den Hund überfordert. Es ist aber auch ganz wichtig, dass neben den Regeln und Strukturen genügend Freiraum bleibt, in denen der Hund er selbst sein kann, in denen er eigene Erfahrungen machen kann und dass er ein erwachsenes Individuum sein darf.
Struktur als Leitschnur, nicht als Ausdruck von Unterdrückung
Strukturen im Hundeleben bedeuten also auf keinen Fall, dass ein Hund nur lernt, was er alles NICHT darf. Das gehört natürlich dazu, viel wichtiger ist aber, dass der Hund in seinem Menschen einen souveränen Fixpunkt hat, dem er vertrauen kann. Viel wichtiger als nur Verbote ist es auch, dem Hund auf natürlichem Weg zu vermitteln, was er DARF, was wir tolerieren oder sogar von uns erwünscht ist. Und wichtig in einem strukturierten Hundeleben ist auch zu wissen, dass es im Territorium immer einen Rückzugsort gibt wo man seine Ruhe hat und das das Territorium und die darin lebenden Menschen insgesamt nicht chaotisch sind, sondern souverän und kalkulierbar…
Gut, jetzt ist es nicht wirklich kurz und knapp geworden – aber man kann jetzt erkennen, worauf ich mit „kurz und knapp“ hinauswill. Und als Quintessenz dieses ersten Teils kann man festhalten, dass Hundeexperten, die auf die Frage nach Strukturen im Hundeleben nur die möglichen Verbote aufzählen, besser noch einmal nachdenken sollten. Und Hundehalter, die bei solchen Experten Rat suchen, vielleicht noch etwas weitersuchen sollten – oder auch mal auf ihr eigenes Gefühl hören. Denn eigentlich bedeutet ein strukturiertes Leben für Hunde nichts weiter als ein strukturiertes Leben für Menschen. Und wie würden wir uns fühlen, wenn uns den ganzen Tag nur gesagt würde, was wir NICHT dürfen?