Barney und Frauchen machen alles richtig – trotzdem gibt es Probleme
In meinem
Berufsleben werde ich mit vielen Hundehaltern konfrontiert, die bei der
Hundeerziehung ungeduldig sind, die nicht engagiert mitarbeiten und Fehler vor
allem beim Hund, bei der Umwelt und oft auch beim „Lieben Gott“ suchen - nur
nicht bei sich selbst. Ganz anders war da die nette ältere Dame, die das Alter
von Achtzig bereits überschritten hatte. Doch das merkte man ihr nicht an. Als
ich sie und ihren vermeintlichen Problemhund zum ersten Mal besuchte, konnte
ich ihr nicht glauben, als sie mir ihr Alter nannte. Sie war eine engagierte
Dame, die intelligent und engagiert ihren Hund erziehen wollte. So erziehen,
„wie man das heute eben so macht“, schilderte sie mir. Bei ihr wohnte Barney,
ein dreijähriger Dackelmischling. Vor Barney hatten schon 4 Dackel bei der
Dame, Frau D., und ihrem Mann gelebt. Herr D. war vor sechs Jahren gestorben
und nachdem der letzte gemeinsame Dackel vom Ehepaar D. auch gestorben war,
schaffte sich Frau D. Barney an, der als Welpe bei ihr einzog. Jetzt wurde ich
von Frau D. um Hilfe gebeten, weil Barney angeblich „unerziehbar“ sei und
keiner ihrer vorherigen Hunde „so war.“
Frauchen als Elitesoldat
Was war das Problem? Nun,
Frau D. schilderte mir das Problem so, dass Barney grundsätzlich Fußgänger
anbellen würde, wenn sie an einer Ampel eine Straße überqueren würden. Gut, das
musste ich mir natürlich ansehen und bat Frau D. und Barney, einmal mit mir „um
den Block“ zugehen, damit ich mir ein Bild der Situation machen könne. Gesagt
getan. Ja gut, bis wir zur Tat schreiten konnten dauerte etwas. Nicht weil Frau
D. aufgrund ihres Alters etwas langsam war, das vielleicht auch. Der Hauptgrund
war die Tatsache, dass Frau D. sehr lange brauchte, um die „Ausrüstung für den
Spaziergang“ zusammenzusuchen. Schleppleine zusammengerollt über die Schulter
gelegt, darunter die Weste, die Platz für diverse Hilfsmittel wie Pfeife,
Klicker und Wasserflasche für Barney (es waren 12 Grad und ich wollte mir nur
kurz das Problem anschauen) bot. Dann wurden mit Karabinerhaken noch je rechts
und links Leckerchenbeutel am Gürtel von Frau D. angebracht. Mit zwei
verschiedenen Leckerchensorten. Einem mit „normalen“ Leckerchen für die
dauerhafte Belohnung immer mal zwischendurch, sowie einem Beutel mit besonderen
Leckerchen, für die Belohnung, wenn Barney etwas besonders gut gemacht hatte.
Gut, nachdem Frau D. alle Utensilien beisammen hatte, ungefähr so aussah wie
ein Elitekämpfer im Einsatz, gingen wir los.
Warum bellt Barney an der Ampel?
Barney benahm sich
vorbildlich, er zog nicht an der Leine, entgegenkommende Menschen, Hunde und
Fahrräder wurden kaum bis gar nicht beachtet. Bis wir an eine Ampelanlage kamen
und Frau D. Barney dort das Signal „Sitz“ gab. Da Frau D., aufgrund ihres
Alters nicht immer direkt (primär) das richtige Verhalten Barney verstärken
konnte (es dauerte etwas, bis sie die Leckerchen aus den Beuteln geholt hatte),
wurde ihr in der Hundeschule, die die Beiden besucht hatten beigebracht, Barney
sekundär (d. h. mit Verzögerung, über ein „Versprechen“ auf Belohnung) mit
einem Klicker zu belohnen. Das ist keine schlechte Idee und ein gewünschtes
Verhalten mit der Hilfe eines Klickers zu verstärken, damit es wieder gezeigt
wird, ist eine gute Möglichkeit, einem Hund etwas beizubringen. Allerdings ist
das alles nicht so ganz einfach. Zunächst muss man dem Hund vor der Anwendung
beibringen, was der Klick bedeutet, um ihn dann im „Ernstfall“ zeitlich genau
zu benutzen, damit der Hund erwünschtes Verhalten erlernt und wiederholt.
Zeitlich korrekt zu sein ist dabei sehr wichtig, weil der Hund nur in einem sehr
kurzen Zeitfenster seine gezeigte Handlung mit der direkt folgenden Konsequenz,
hier dem Versprechen auf Belohnung durch den Klicker, verknüpft. Wenn Barney
also jetzt lernt, sich an jedem Fußgängerüberweg hinzusetzen, und das mit
Klicker verstärkt wird, ist das im Prinzip in Ordnung - wenn es zeitlich
korrekt durchgeführt wird. Frau D. ist eine intelligente Frau, die dieses
Prinzip von direkter Verknüpfung von Handlung und Konsequenz absolut verstanden
hatte. Dennoch gelang es ihr nicht, Barney beizubringen, an der Ampel Ruhe zu
bewahren.
Kognitive Fähigkeiten – des Menschen…
Bei unserem Testspaziergang
konnte ich recht schnell erkennen, woran das lag. Frau D. sagte zu Barney an
der Ampel Sitz. Wenn er sich setzte, klickte sie. Das dachte sie. Doch in
Wirklichkeit klickte sie erst, wenn Barney nach dem Sitzen bellte. Sie brachte
ihm also bei, nach dem Hinsetzen an einer Ampel zu bellen. Als ich ihr diesen
Sachverhalt erläuterte, widersprach sie mir vehement - sie hielt daran fest,
sofort zu klicken, wenn Barney saß, noch vor dem Bellen. Ich vereinbarte mit
Frau D. dann, den Termin und den Testspaziergang noch einmal zu wiederholen, um
das Ganze dann mit einer Videokamera zu dokumentieren und ihr dann das Video
zeigen. Und, beim zweiten Termin geschah exakt das Gleiche. Barney setzte sich
an der Ampel, Frau D. verstärkte das Anbellen von Passanten mit einem Klick.
Deutlich auf dem angefertigten Video zu sehen. Ganz verdutzt und verwirrt
musste mir Frau D. den Sachverhalt beim Ansehen des Videos bestätigen. Aber,
ich habe an der Stelle nicht darauf beharrt recht zu haben und mit Genugtuung
meine ach so tolle Erkenntnis zur Schau zu stellen. Nein, ich habe Frau D. in
Ruhe erläutert, warum ihre Wahrnehmung und ihre tatsächliche Handlung soweit
auseinander lagen. Es ist in ihrem Alter nun einmal so, und das ist keinesfalls
despektierlich gemeint, dass ihre kognitiven Fähigkeiten sich verlangsamen. Das
heißt, dass ihr Gehirn für die Verarbeitung einer Wahrnehmung schlicht etwas
mehr Zeit braucht. Wenn Sie also wahrgenommen hat, dass Barney sich gesetzt
hat, drückt sie nach ihrer Meinung direkt auf den Klicker. Tatsächlich dauert
es aber etwas, bis von ihrem Gehirn der Impuls ausgelöst wird zu klicken –
aufgrund der Verlangsamung ihrer kognitiven Fähigkeiten. Barney hat in der
Zwischenzeit aber schon eine andere Handlung ausgeführt. Nämlich jemanden
anzubellen. Frau D. machte laut ihrer Wahrnehmung alles komplett richtig, letztlich
wurde Barney aber immer für das Bellen verstärkt. Allein aus dem Grund, dass
Frau D. zwar so gut wie ihr möglich mit dem Hund trainierte, es ihr aber nicht
möglich war, vollkommen korrekt und zeitlich einwandfrei die Handlung des
Hundes zu verstärken, zu belohnen.
Starr an einer Methode und Philosophie festhalten?
Was möchte ich mit diesen
Zeilen ausdrücken? Nun, wie jeder weiß bin ich ein Freund der positiven
Verstärkung und habe mich schon mehr als einmal dazu geäußert, was ich
persönlich von Hundeerziehung und Hundetraining, welches mit „unerfreulichen
Konsequenzen“ gegen den Hund zu tun hat, halte. Arbeiten über positive
Verstärkung ist normalerweise mein Mittel der Wahl. Doch wie man an dem
gezeigten Beispiel sehen kann, können durch gewisse Umstände auch bei allem Engagement
und auch korrektem Grundwissen, Fehler auftreten, die zu eigentlich unnötigen
Problemen führen können.
Frau D. und ihre Hundetrainerin
hatten mit viel Engagement und Zeit an der Verbesserung ihres Timings
gearbeitet – was aber nicht möglich war. Wichtig ist mir darum zu erwähnen,
dass man nicht immer an einem eingeschlagenen Weg in der Hundeerziehung
festhalten sollte, nur weil es der eigenen Philosophie entspricht. In diesem
Fall einer Philosophie, die ich grundsätzlich teile und befürworte, die aber
eben nicht umsetzbar war.
Frau D. konnte ich sehr
schnell helfen, indem ich ihr riet, nichts mehr mit Barney an der Ampel zu
trainieren. Einfach hingehen, hinstellen und bei „grün“ gehen. Die ersten zwei
Wochen bellte er noch Fußgänger an, nach dieser Zeit stellte er das Bellen
immer weiter ein. Heute bellt er niemanden mehr an. Er hat ja nichts mehr
davon, und wird nicht mehr durch Frau D. in seinem Handeln verstärkt.
Hundehalter nicht überfordern
Wie gesagt, im Prinzip ist
es ja der richtige Weg, wie Frau D. die Hundeerziehung ihres Barney angegangen
ist. Aber man sieht auch, dass in diesem Fall der einfachste Weg, nämlich an
der Ampel nichts zu trainieren, der beste war. In diesem Fall, den man nicht
pauschalisieren sollte. Aber dennoch sollte es zum Nachdenken anregen, ob manchmal
nicht weniger mehr ist, und ob nicht einige Menschen damit überfordert sind, „immer
alles richtig“ in der Hundeerziehung machen zu wollen.
Der Text soll also zum
Nachdenken anregen – nicht mehr, aber auch nicht weniger.