Hilfe, in unserer Rudelstellung fehlt die Nr.2!
Ich sehe gerade Puzzel und Koka herumliegen und Ihren
Mittagsschlaf halten. Da ich im Moment am Rande etwas von dem „Rudelstellungstrend“
lese, kommt mir folgender Gedanke. Wenn der Theorie nach Koka eine 1 (laut Rudelstellungstheorie auch "Vorderer Leithund" genannt) ist und
Puzzel eine 3 ("Vorderer Wächter")? Wie würde ich mit dem Problem umgehen? Müsste ich eine Nr. 2 ("Vorderer Kundschafter")
suchen? Ich bin mir sehr sicher, dass der alte, 16jährige Puzzel keine Lust auf
einen weiteren Hund im Haushalt hätte, auf den man sich einstellen muss, den
man kennenlernen muss. Zuviel Stress für den alten Knaben in seinem schönen
Heim, seinem gemütlichen Alterssitz. Und Koka? Die ist auch in Ihrer Zweierbeziehung
zufrieden, da bin ich mir sicher.
Aber da laut der Theorie 7 Positionen in jedem Wurf "angeboren" sind ("Vorderer Leithund", "Vorderer Kundschafter", "Vorderer Wächter", "Zentralhund", "Hinterer Kundschafter", "Hinterer Wächter" und "Hinterer Leithund"), fühlen sich Hunde angeblich nur in einer solchen Konstellation wohl. Folglich müsste ich also 5 weitere Hunde aufnehmen.
Aber da laut der Theorie 7 Positionen in jedem Wurf "angeboren" sind ("Vorderer Leithund", "Vorderer Kundschafter", "Vorderer Wächter", "Zentralhund", "Hinterer Kundschafter", "Hinterer Wächter" und "Hinterer Leithund"), fühlen sich Hunde angeblich nur in einer solchen Konstellation wohl. Folglich müsste ich also 5 weitere Hunde aufnehmen.
Rudelstellungen springen einen an
Ganz im Ernst, was ist das wieder für ein Ding mit diesen
Rudelstellungen? Ich habe mir ja eigentlich geschworen, mich aus dem
Philosophiewahn herauszuhalten, meine eigenen Ansichten hier und da
aufzuschreiben und wem es gefällt – gut. Wem nicht, auch gut. Aber es ist
soweit, dass mir fast der Kragen platzt, wenn ich davon etwas sehe, höre oder
lese (ich versuche ja darüber hinwegzulesen, es springt mich aber geradezu an).
Eigene Wahrheitsinterpretation
Kurz zur Erläuterung. Dieses Rudelstellungen beruhen auf den Beobachtungen und Interpretationen einer Person - die diese Thesen schon vor vielen Jahren aufstellte. Diese Interpretationen wurden nun vor einigen Jahren aufgegriffen. Es geht im vereinfachten Prinzip darum, dass
Hunde angeblich eine angeborene Stellung in Rudeln haben, und dadurch bestimmte
Reihenfolgen und Aufgaben für ihr Leben lang vorbestimmt wären. „Untermauert“
ist es nur durch selbstverantwortlich interpretierte Beobachtungen, ohne jeglichen
wissenschaftlichen Background. In der Praxis heißt das, wie oben schon erwähnt, wenn man z. B. zwei
Hunde daheim hat, eine 1 und eine 3, dann muss man sich noch eine 2 dazukaufen
oder die Nr. 3 abgeben…
Das ist ganz grob gesagt das, womit sich diese Sache
beschäftigt. Es gibt „Experten“ dafür, die einem sagen, welche angeborene
Stellung der oder die eigenen Hunde haben, was man tun muss, welche Hunde man
zukaufen soll oder welche abgeben, oder wie man einen „Nr. 1“ Hund erzieht oder
eine Nummer „6“ behandeln muss.
Die Realität: Großteil des Charakters formt die Umwelt
Wenn man sich seit vielen Jahren mit Hundeverhalten
beschäftigt, wird einem ehrlich gesagt übel, wenn man so etwas liest. Sicher
ist es genetisch vorgegeben, ob man zum Beispiel ein etwas vorsichtigerer
Charakter ist oder ob man angeboren zu etwas mehr Draufgängertum neigt.
Allerdings ist der Hauptfaktor beim Formen eines Charakters die Umwelt, welchen
positiven Reizen und Geschehnissen man ausgesetzt ist. Wie behütet man ist oder
ob man um sein Leben, seine Existenz schon früh fürchten, kämpfen muss. Wie viele
Ressourcen zur Verfügung stehen, mit wie vielen anderen Individuen man um diese
Ressourcen konkurrieren muss oder nicht. Die Umwelt, das Leben formt das
Lebewesen, den individuellen Charakter – macht Mensch wie Hund aus.
Grundcharakter wie Zurückhaltung oder etwas mutiger sein sind genetisch verankert,
aber den größten Teil des Charakters macht die Umwelt aus.
Anpassungsfähigkeit ist das echte Zauberwort
Neben der beschriebenen, angeborenen Grundtendenz im
Charakter, spielt eine spezielle angeborene Eigenschaft eine Rolle beim
Hundewesen. Die Tatsache, dass Hunde sozial unglaublich anpassungsfähig sind.
Ihre Fähigkeit sich an alle möglichen sozialen Strukturen und Sozialpartner individuell
anzupassen, ermöglicht es ihnen wohl seit Jahrtausenden, an der Seite des
unkalkulierbaren Menschen zu leben. Wie sollte das mit einer starren,
angeborenen „Rudelstellung“ gehen?
Große Gruppen die normale soziale Organisation?
Zudem muss man ganz klar sehen, dass man nach diesen
Rudelstellungen ja davon ausgeht, dass Hunde von Natur aus in irgendwelchen
Gruppen leben, mit strenger Hierarchie und Ordnung. Davon haben nur Hunde noch
nie etwas gehört. Wölfe, die „wilden“ Vorfahren unserer Hunde, leben in Familienverbänden,
bei denen eigentlich nur die beiden Elterntiere dauerhaft beisammen bleiben,
die Welpen allesamt nach ein bis zwei Jahren abwandern. Große, dauerhafte
Gruppen mit fremden Individuen, die sich aufgrund von angeborenen „Rudelstellungen“
zusammenfinden, gibt es dort nicht. Nur Familien, die immer wieder
auseinanderstreben.
Und auch wild, bzw. freilebende Hunde, die nicht oder kaum
von Menschen beeinflusst sind, leben nicht in Gruppen oder „Rudeln“ zusammen,
die streng hierarchisch dauerhaft zusammenleben. Sicher laufen mal einige Hunde,
die auf der Straße leben, gemeinsam durch die Gegend, weil sie sich gegenseitig
Sicherheit geben können. Aber diese Gruppierungen mit größerer Individuenzahl
sind meist nur kurzzeitig anzutreffen. Wenn man sich ernsthaft mit der sozialen
Struktur von „frei“ lebenden Haushunden und Straßenhunden beschäftigt, wird man
erkennen, dass diese zu 80 % allein durch die Gegend streifen, manchmal kleinste
Grüppchen mit vielleicht zwei oder drei Tieren bilden und fast nie dauerhaft
angelegte, strukturierte „Banden“ etablieren. Ein Wolfsrudel oder eine Gruppe "frei" lebender Hunde anzutreffen, die genau die Zahl 7 aufweist, ist wohl eher schwierig.
Anpassungsfähigkeit kontra Rudelstellung
Der Name Rudel betitelt im Zusammenhang mit Wölfen fachlich korrekt gesehen eigentlich
eine Familie. Ein Rudel mit strenger hierarchischer Ordnung ist bei Hunden
wie Wölfen, die „natürlich“ leben können kein soziales Modell des
Zusammenlebens. Obwohl das gebetsmühlenartig immer noch von Hundetrainern gepredigt
wird.
Hunde sind eben derart anpassungsfähig, dass sie auch damit
zurechtkommen, dass wir sie mit unserem Rudelwahnsinn überschütten. Diese
Anpassungsfähigkeit ist bei Ihnen angeboren. Rudelstellungen sind es sicher
nicht.