Über Leckerchen, Konditionierung, Bestrafung und unwahre Wahrheiten
Ich weiß nicht genau
warum das so ist, aber es gibt wohl kaum eine gesellschaftliche Gruppierung,
eine Gemeinschaft mit gleichen Interessen oder wie immer man es nennen möchte,
die dermaßen zerstritten ist wie die so genannte „Hundeszene“ in Mitteleuropa.
Ein hochgradig interessantes gesellschaftliches Phänomen, mit dem ich mich in
späteren Artikeln dieses Blogs noch näher beschäftigen möchte, weil ich denke,
dass die Zerrissenheit und die Rechthaberei unter den Menschen, die einen Bezug
zum Hund haben, letztlich sehr schädlich sind. Schädlich für Menschen, aber in
erster Linie für die Hunde…
Lernen oder
konditionieren?
Hier möchte ich mich
zunächst aber einem konkreten Beispiel dieser Streitigkeiten widmen. Dem
Leckerchen. Ich stelle vermehrt fest, dass Hundeexperten, Hundetrainer oder wie
immer man Menschen auch nennen will, die mit Hunden und/oder deren Haltern
arbeiten, es geradezu verteufeln, Hunden etwas über Leckerchen beizubringen.
Oft wird von „Leckerchengegnern“
das Argument gebracht, dass ein Hund über Leckerchen nicht wirklich lernen
könnte, sondern nur konditioniert würde und so ein Leckerli gesteuerter Roboter
sei. Solche Aussagen von Hundetrainern, „Hundeexperten“ erstaunen mich in schönster
Regelmäßigkeit. Man kann über viele Dinge diskutieren und eigene
Interpretationen zu Sachverhalten äußern, aber dass Konditionierung das Lernen
verhindert, ist nach heutigen, allgemein anerkannten wissenschaftlichen
Lerntheorien schon eine, sagen wir es vorsichtig, „merkwürdige Aussage“.
Konditionierung ist nämlich ein elementarer Bestandteil des Lernens. Ich möchte
hier nicht in die trockenen und wissenschaftlichen Definitionen von
Lerntheorien, klassischer und operanter Konditionierung abgleiten. Erwähnen
muss man aber, dass sich Lerntheoretiker heute weitgehend einig sind, dass man
nicht nur eine der Theorien als die einzig Wahre bezeichnen kann. Sondern Lernen eine Mischung aller Theorien ist. Und
alles, was heute bekannt ist, seine Berechtigung im Zusammenhang mit Lernen
hat. Die Konditionierung genauso, wie ein Lernen über Erkenntnis. Was der
Unterschied ist? Das kann ich hier nur ganz am Rande erläutern. Als Faustregel
kann man sich aber merken, dass bei einer operanten Konditionierung einer Handlung immer
eine Konsequenz folgen muss. Man lernt also, mache ich dies, passiert das. Beim
Lernen über Erkenntnis, oder auch dem kognitiven Lernen reicht es, dass ich mir
etwas merken kann, ohne dass eine greifbare Konsequenz folgt. Ich lese diesen
Text, und etwas bleibt haften. Oder, aufgrund meiner Vorstellungskraft, kann
ich mir eine Konsequenz vorstellen, ohne diese tatsächlich zu erleben. Lernen
ist also ein komplizierter Prozess, den man heute durch mehrere Theorien versucht
zu verstehen. Zusammenfassend kann man sagen, dass Lernen eine Mischung aus Konditionierungen
und Erkenntnissen ist – letztlich ist es die Fähigkeit, sich immer wieder neu
anzupassen. Vereinfacht zusammengefasst!
Warum aber
diejenigen, die Lernen über Leckerchen pauschal verteufeln, viel zu pauschal
denken, möchte ich einmal ganz verständlich darstellen. Wenn ich etwas mache,
wenn ich eine Handlung ausführe, folgt dieser, wie schon erwähnt, eine
Konsequenz. Wenn ich den Zündschlüssel meines Fahrzeugs herumdrehe, springt das
Auto an. Wenn ich freundlich zu einem Menschen bin, ist dieser auch freundlich.
Das Wissen um die der Handlung folgenden Konsequenz nennt man auch operante
Konditionierung.
Das Lernen, dass mein Auto anspringt, wenn ich den Schlüssel
drehe, ist nichts weiter als Konditionierung. Wenn einem Hund beigebracht wird,
wenn er sich bei einem bestimmten Wort setzt und darauf ein Leckerchen folgt,
ist natürlich Konditionierung – aber eben genauso „Lernen“.
Konditionierung ist
also nicht etwa das Gegenteil von Lernen, sondern ein wirklich elementarer
Bestandteil des Lernens. Und wenn ich einem Hund ein Verhalten, welches ich von
ihm wünsche, über Nahrung beibringe, ist
das nur eines: Lernen über Konditionierung. Der Hund weiß, was ich von ihm
erwarte, er versteht, was ich von ihm möchte. Konditionierung ist lernen (eine
Form des Lernens) – nicht mehr und nicht weniger.
Strafen ist
konditionieren
Wenn also ein
Hundeexperte die Konditionierung über Leckerchen verflucht und als Gegenteil
von Lernen beschimpft, sollte man gewarnt sein. Entweder fehlt diesem Experten
eine ganze Menge an Wissen, oder er nutzt diese Aussagen bewusst manipulierend,
um sich und seine Methoden zu rechtfertigen oder eine Einzigartigkeit zu
suggerieren.
So kann ich mich an den Vortrag eines bekannten deutschen
Hundetrainers auf einer Hundemesse in Münster erinnern. Dieser Trainer
behauptete wirklich, dass Lernen über Leckerchen nichts mit Lernen zu tun
hätte, sondern nur Konditionierung wäre. Erschreckend, wenn man so etwas von
einem Hundetrainer hört, der sehr viele Menschen erreicht. Übrigens – genau dieser
Trainer sagte in diesem Vortrag, dass es keine Konditionierung wäre, wenn man
einen Hund strafen würde, wenn dieser etwas (in menschlichen Augen) Falsches
macht. Das nannte er Beziehung und Kommunikation. Eine unfassbar falsche und
populistische Aussage. Wie schon eingangs erwähnt bedeutet konditionieren
(operant konditionieren!), dass man lernt, welcher Handlung welche Konsequenz
folgt. Und wenn eine Strafe folgt, ist das genauso konditionieren wie ein
folgendes Leckerchen auf erwünschtes Verhalten.
Lernen wird durch
Leckerchen unterstützt
Also, es ist nach
meiner Meinung und nach lerntheoretischen Gesichtspunkten sicher nicht
verwerflich, einem Hund mit Leckerchen, über Nahrung etwas beizubringen. Damit
er versteht, damit er lernt, was ich von ihm möchte. Allerdings sollte das
nicht so weit führen, dass ich den Hund ein Leben lang für jeden richtigen
Schritt mit Leckerchen vollstopfe. Eine positive Konsequenz für eine Handlung,
die erlernt werden soll, die erwünscht ist, kann auch anders aussehen.
Es kann
ein freundliches Wort sein, ein streicheln, ein Spiel etc. Ganz normal so, wie
in einer sozialen Beziehung, wie in einem sozialen Umfeld gelernt wird. Lernen,
Konditionierung dadurch, dass das erwünschte Verhalten positive soziale
Konsequenzen hat.
Das sollte in meinen Augen eine gesunde Mischung sein. Mich
befremdet es ehrlich gesagt, wenn heute immer nur eine Möglichkeit der
Hundeausbildung, des Lernens, als richtig oder falsch angesehen wird. Schwarz
und weiß, gut und böse, Hundetrainer A gegen Hundetrainer B. Kann es sein, dass
Hundeerziehung heute viel weniger mit Hunden zu tun hat, als vielmehr mit
Problemen der menschlichen Gesellschaft? Mir scheint es manchmal so…
Diskussion
menschlicher Eitelkeit geschuldet?
Wir sollten
vielleicht weg von den persönlichen Eitelkeiten in der Hundeszene, hin zu einem
Miteinander und Austausch im Interesse der Hunde. In meinem naiven Glauben,
dass doch allen Hundeexperten das Wohl der Hunde am Herzen liegt.
Hundeexperten, die
einen gewissen moralischen Standard verlassen, kann ich persönlich da natürlich
nicht mit einbeziehen. Alle, die mit jeglicher Form von Gewalt, Würge –und/oder
Stachelhalsbändern etc. arbeiten, fallen bei mir durch das Raster. Alle anderen
sollten endlich lernen, weniger die Gegensätze zu suchen, als vielmehr die
Gemeinsamkeiten. Denn eines haben wir ja sicher gemeinsam. Die Zuneigung zu den
Hunden. Das hoffe ich zumindest...