Hundeleben heute: Dem „Wachhund“ wird das Bellen verboten…
Man geht
heute davon aus, dass Mensch und Hund seit weit mehr als 15.000 Jahren eine
gemeinsame Geschichte haben. Viele tausende von Jahren hat sich das
Zusammenleben dieser beiden Arten als relativ problemlos gezeigt, Hunde hatten
ihre Aufgaben wie das Wachen oder fungierten als Jagdhelfer. Eigenschaften, die
ihnen angeboren waren und die den Menschen von Nutzen waren. Natürlich wurde
auch die ein oder andere Eigenschaft schon vor Jahrhunderten gezielt vom
Menschen selektiert und es entstanden so genannte Landschläge, die den
jeweiligen Umweltbedingungen und Anforderungen besser gerecht wurden als
andere. Aber trotzdem waren die Unterschiede der einzelnen Schläge, sowie die
Anzahl der Schläge letztlich Jahrtausende überschaubar. Auch der Umgang mit dem
Hund war wesentlich weniger kompliziert – auch hier natürlich mit regionalen
und kulturellen unterschieden, aber bei weiten nicht so kompliziert wie heute.
Ob nordische Hunde bei den Völkern in Sibirien, ob Hunde als Begleiter
afrikanischer Naturvölker oder nordamerikanischer Indianer. Ob als Bewacher der
abgelegenen Bauernhöfe in den Alpen oder aber als Bewacher der Werkstatt eines
Handwerkers in einer mitteleuropäischen Großstadt im 19. Jahrhundert. Hunde
waren da, gehörten dazu und Mensch wie Hund passten sich gegenseitig an.
Veränderungen überfordern die
Anpassungsfähigkeit
Erst in den
letzen ca. 200 Jahren entwickelte sich die gezielte und gesteuerte Rassezucht,
wie wir sie heute kennen. Und erst seit ca. einem Jahrzehnt gibt es den
Leinenzwang für Hunde in den vorher erwähnten mitteleuropäischen Großstädten.
Die Abstände vom Verständnis für den Hund und vom Umgang mit dem Hund werden
also immer kürzer, nach meiner Meinung viel zu kurz, als dass sich die uralte
Symbiose Mensch/Hund daran anpassen kann. Schuld daran könnte der
gesellschaftliche Zusammenhang des fast schon zwanghaften Strebens nach
wirtschaftlichem Wachstum und sich daraus ergebenden ständig wechselnden
Modetrends sein, die die Konjunktur beleben sollen. Und leider spiegeln sich
diese Modetrends auch in der Hundehaltung wieder. Ist gerade „Outdoor“ in Mode,
werden sich optisch „passende“ Hunderassen zugelegt – oft mit fatalen Folgen.
Weil das ursprüngliche Zuchtziel nicht mit den Modetrends harmoniert…
Gut, ich muss
zugeben, dass ich selbst von diesen Trends profitiere. Die Hunde, die früher
irgendwie mit den Menschen zusammenlebten, brauchten sicher keinen
Hundepsychologen. Aber, wenn auch meinem Geschäft nicht zuträglich, wäre ich
froh, wenn Hunde heute in Mitteleuropa noch so leben könnten wie in längst
vergangener Zeit – einfach im Interesse des Lebewesens Hund.
„Anpassung zum eigenen Vorteil“
effektiver als Zwang?
Das Leben ist
für Hunde heute definitiv schwerer, als zu der Zeit, wo sie einen Hof bewachen
durften und ohne Leine tägliche Ausflüge in die Nachbarschaft unternehmen konnten.
Sie lernten mit den Nachbarhunden zu leben, sich bei Begegnungen mit fremden
Hunden richtig zu verhalten, weil sie Ärger aus dem Weg gehen konnten, ohne
dass ein Mensch sie Zwang, sich dauernd mit fremden Hunden auseinanderzusetzen.
Hunde machten ihre eigenen Erfahrungen und lernten, wie man mit gewissen
Situationen umgehen muss, damit es zum eigenen Vorteil ist. Es war wirklich so,
Ausnahmen selbstverständlich ausgeklammert, dass der lockere, ungezwungene
Umgang mit dem Hund viele Probleme verhinderte – oder das, was heute als
Problem angesehen wird gar kein Problem darstellte. Der Wachhund sollte bellen
und der Jagdhund jagen. Heute muss ich dem Hund, der als Wächter gezüchtet
wurde, das Bellen abgewöhnen, weil es die Nachbarn stört…
Gesellschaftliche Zwänge
Außer in ganz
kleinen Orten auf dem Land findet man heute keine „Freigänger“ mehr in Mitteleuropa. Diese freilaufenden,
„freien“ Hunde, die den Tag nach ihrem Hundegeschmack gestalten konnten und
eine natürlich Sozialisierung auf Mensch und Tier genossen, sind selten
geworden. Heute fehlt diese natürliche Sozialisierung oft vollkommen, weil
alles nach Recht, Gesetz und Modetrend „funktionieren“ muss. Und so begegnen
sich Hunde nur noch an Leinen, wo sie ihre natürliche Körpersprache nur bedingt
einsetzen können und auch für sie persönlich unangenehme Begegnungen nicht umgehen
können – oder sie werden gezielt in Welpen- oder Hundegruppen gezwängt, wo sie
auch der Situation nicht natürlich ausweichen können, wenn sie einen anderen
Hund nicht mögen oder ihn fürchten. Aufgrund von Modetrends, gesellschaftlichen
Zwängen und dem penetranten Wunsch nach der perfekten Welt (und so auch dem
perfekten Hund), geht heute der entspannte Umgang mit unserem wundervollen und
anpassungsfähigen Sozialpartner Hund immer mehr verloren. Letztlich ein
Teufelskreis – die Gesellschaft toleriert keine freilaufenden, streunenden
Hunde mehr und „produziert“ so unsichere, schlecht sozialisierte Tiere – denen
man auch nicht mehr zutrauen kann, freilaufend diverse Alltagssituationen adäquat
zu meistern. Eine Gesamtsituation, mit der wir wohl leben müssen – solange sich
die Gesellschaft nicht an sich verändert. Und den Hund nicht mehr als
Trendobjekt einer nach Perfektion strebenden Wachstumsgesellschaft sieht.
Sondern als das, was er ist – ein Sozialpartner, der unser Leben bereichern
kann – wenn wir das Leben nur so entspannt und unkompliziert sehen würden wie
er.
War früher alles besser?
Ob früher nun
alles besser war? Natürlich nicht. In Sachen Tierschutz und Hundehaltung
(Kettenhalteverbot etc.) sind von gesetzlicher Seite heute sicher Fortschritte
gemacht worden. Und meiner Meinung nach hat jede Zeit gute und schlechte
Seiten. Insgesamt ist es aber mein persönlicher Eindruck, dass der
modebewussten Trendgesellschaft das Gefühl für den Hund anscheinend mehr und
mehr abhanden kommt und durch trendige Erziehungsphilosophien ersetzt wird. Philosophien,
die offensichtlich selbst die Anpassungsfähigkeit von Hunden überfordern…