Hunde, Peinlichkeiten, vermenschlichen
Im „Zeit-Wissen Magazin Nr. 3 / 2014“ ist ein
interessanter Artikel zu finden. Es geht darum, ob Tieren etwas peinlich sein
kann. Ich finde den Artikel in der Hinsicht interessant, weil man ja immer
wieder hört, viele Menschen würden Hunde zu stark vermenschlichen. Und in
typisch deutscher Schwarzmalerei wird dieses „Vermenschlichen“ gern als der
Untergang der westlichen Hemisphäre herangezogen, wenn es um Probleme zwischen
Menschen und Hunden geht. Aber diese Schwarzmalerei ist ein anderes Thema – dieses
immer mit dem Schlimmsten jonglieren, um gewisse Meinungen durchzudrücken.
Von Peinlichkeiten,
Trauer oder schlechtem Gewissen im Zusammenhang mit Hunden zu sprechen, wird
oft mit dem Vorwurf des Vermenschlichens begegnet.
Sich seiner
selbst bewusst?
Aber zurück zum Zeit-Artikel. Anschaulich wird
dort erklärt, dass von vielen heute immer noch davon ausgegangen wird, dass die
meisten Tiere kein Bewusstsein für das eigene „Ich“ haben, was ja die
Voraussetzung dafür wäre, Peinlichkeiten zu empfinden – man müsst ja praktisch
von außen auf sich selbst schauen und sein eigenes Verhalten bewerten. Einigen
Tieren wie Schimpansen spricht man diese Fähigkeit zu, weil sie sich in einem Spiegel
erkennen. Hunde erkennen sich nicht in einem Spiegel – aber ist das ein Beweis
dafür, dass sie sich ihrer selbst nicht bewusst sind? Nun, ich halte es für
äußerst fragwürdig, die Selbstwahrnehmung eines Lebewesens an einem speziellen
Test festzumachen. Für mich persönlich steht außer Frage, dass Hunde ein Gefühl
für sich selbst haben.
Markieren
Hunde ihren eigenen Urin?
Ein starkes Indiz dafür liefert eigentlich jeder
Hund, jeden Tag. Gehen sie einmal einen Weg in die gleiche Richtung zurück, aus
der Sie gekommen sind. Markiert ihr Hund dann über seine eigenen Markierungen,
die er vor kurzer Zeit abgesetzt hat? Selten? Na klar, er weiß ja, dass die
Markierung von ihm ist und er sie erst kürzlich gesetzt hat. Über jede
Markierung eines fremden Hundes, die sehr frisch ist, würden doch sehr viele
Hunde „drübermarkieren“. Das Erkennen der eigenen Markierung kann doch nur
erfolgen, wenn sich der Hund seiner selbst bewusst ist. Wenn er das nicht wäre,
würde er Hundeurin riechen und einfach drübermachen…
Diesen Spiegeltest als Beweis für ein „Ich-Bewusstsein“
halte ich insgesamt für fragwürdig. Ein Hund braucht zum Erkennen immer mehr
Informationen als nur ein zweidimensionales Bild. Um daraus alle Informationen
zum Erkennen eines Individuums ableiten zu können, sind seine Augen zu
unscharf. Zudem ist er als Nasentier stark auf den Geruch als Infoquelle
angewiesen, mit wem er es zu tun hat. Darum kann ein Hund ein Spiegelbild
vermutlich nicht einmal als Hund erkennen, geschweige denn, als sich selbst.
Schmerz
empfinden ja, Peinlichkeiten nein?
Wie gesagt, ich bin zutiefst davon überzeugt, dass
Hunde sich ihrer selbst bewusst sind. Aber da sich die Wissenschaft früher
darin einig war, dass Tiere kein Gefühl für sich selbst hätten, gestehen wir ihnen
komplexe Empfindungen wie „etwas peinlich sein“ nicht zu. Klar, wir gestehen
ihnen zu, dass sie Schmerz empfinden und auch Freude. Peinlichkeit, so wird in dem
Artikel erläutert, scheint aber mehr zu sein als ein schneller Gedanke: „Jetzt
haben andere gesehen, dass ICH was Blödes gemacht habe“. Das wäre nicht nur
ICH-Bewusstsein, sondern zusätzlich würde es sich um ein Hineinversetzen in den
Blickwinkel anderer handeln. Soweit der Zeit-Artikel bis zu der Stelle.
Vermenschlichen
Genau diese Sichtweise der Menschen auf Tiere
führt oft dazu, dass man von „vermenschlichen“ spricht, wenn man Tieren, und in
unserem Fall Hunden, komplexe und abstrakte Emotionsleistungen zuspricht.
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Peinlichkeit
empfinden ein evolutionärer Vorteil…
Doch der gut recherchierte Zeit-Wissen-Artikel fährt
mit einer interessanten Theorie fort. Dort wird dann der bekannte und
anerkannte amerikanische Evolutionsbiologe Marc Bekoff mit folgenden Worten zitiert:
„Ich halte es für wahrscheinlich, dass zumindest soziale Tiere so etwas wie
Peinlichkeit kennen“. Er argumentiert damit, dass z. B. ein Löwe, der unbedacht
gegen einen Baum rennt, den Gruppenmitgliedern signalisiert, dass es ihm
peinlich ist und es sich um ein Missgeschick handelt. Um von den anderen
Gruppenmitgliedern nicht für verrückt oder schwach gehalten zu werden. Was
unter Löwen schwerwiegende Folgen haben könnte.
Peinlichkeit als evolutionäre Notwendigkeit sozial
lebender Tiere? Eine Theorie, klar. Aber ich stimme mit der Autorin des
zitierten Artikels überein: Es ist eine plausible Theorie, die Marc Bekoff
aufstellt. Normverstöße, Peinlichkeiten haben ggf. negative Konsequenzen für
mich. Darum ist das Individuum bei sozialen Lebewesen im evolutionären Vorteil,
das so etwas erkennt und auch zu vermeiden versucht.
Starre
Denkmuster der Hundeszene
Der Artikel hat mich zum Nachdenken angeregt.
Nicht darüber, welche Emotionen Hunde haben oder ob sie ein ICH-Bewusstsein
haben. Natürlich haben sie das, da bin ich mir sicher – nicht nur aus dem
Grund, dass Hunde ihre eigenen Markierungen nicht markieren.
Nachdenken musste ich darüber, wie leicht mit dem
Wort „vermenschlichen“ heute oft um sich geworfen wird, in sehr engen
Denkmustern. Ein anderer Blickwinkel, mal an die Logik der Evolution gedacht,
den Mut haben, abstrakt zu denken. Das würde ich mir von der eingefahrenen
Szene der Menschen rund um Hunde wünschen…