Fridos Weg
Sein Name war Fridolin, genannt Frido. Er war ein großer
Mischlingshund, vermutlich irgendetwas zwischen Schäferhund und Collie. Doch
das war seiner Besitzerin egal, sie liebte ihn, pflegte ihn – und trainierte
mit ihm, unabhängig von seiner Rasse, seiner Größe oder seiner Geschichte. Es
ist noch nicht lange her, da traf ich seine Besitzerin ohne Frido. Auf meine
Frage, wie es Frido geht, stockte sie und erzählte mir sichtlich betroffen,
dass Frido gestorben sei. Er ist im Alter von 14 Jahren friedlich
eingeschlafen. Wörtlich berichtete sie mir: „Es ist so traurig, dass er
gestorben ist. Wir waren auf einem so guten Weg und fast am Ziel.“
Mit 14 fast am Ziel des Trainings
Fast am Ziel? Bei einem 14jährigen Hund? Was meinte sie
damit? Nun, ich habe Frido und sein Frauchen vor ca. 10 Jahren kennengelernt.
Sie lebten mit Ihrer Familie (zu der noch Frauchens Mann, zwei Kinder und ein
weiterer Hund gehörten) sehr abgelegen auf dem Land. Frauchen hatte mich gerufen,
weil sie ein Problem mit Frido hatte. Er bellte beim Spaziergang andere Hunde
an. Wenn sie mal einem begegneten. Man sollte nämlich wissen, dass mit
abgelegen auf dem Land wohnen wirklich abgelegen gemeint ist. Ein einzeln
liegender Bauernhof im landwirtschaftlich geprägten Umfeld. Hundebegegnungen
beim Gassigang waren äußerst selten, maximal zwei bis drei im Monat. Diese
seltenen Begegnungen gestalteten sich dann so, dass Frido kurzfristig in
Richtung des Eindringlings knurrte und bellte, sich direkt nach dem Passieren
aber auch schnell wieder beruhigte. Zwei bis dreimal im Monat ca. ein bis zwei
Minuten ein etwas „unangenehmes“ Verhalten von Frido. Was Frauchen allerdings
peinlich war, weshalb sie verschiedene Hundetrainer beauftrage, mit ihr an
diesem Problem zu arbeiten. Sie lernte, wie man mit Hunden trainiert, fuhr mit
Frido an verschiedene Orte, wo man mehr Hunde trifft. Sie übte und trainierte,
das Üben wurde für sie zum Projekt, teilweise zum Lebensinhalt.
Fast perfektes Hundeleben
Frido führte in seinem ländlichen Heim im Grunde ein fast perfektes
Hundeleben, kam oft raus, hatte regelmäßigen Kontakt mit Artgenossen – seinem
Mitbewohner-Hund und auch mit Kumpeln aus der Umgebung, die er ab und zu
treffen konnte. Mit Artgenossen an sich hatte er also kein Problem, vor allem
nicht mit bekannten Hunden. Die „Probleme“ hatte er nur mit fremden Hunden, die
sich selten mit ihren Besitzern in seinem Revier verirrten.
Training als Hobby des Frauchens
Zu seinem angenehmen Leben mit regelmäßigen
Artgenossenkontakten und ausführlichen Spaziergängen gesellten sich weitere hundliche
Annehmlichkeiten wie ein ständig zugänglicher, großer Garten und ein
freundliches Heim mit freundlichen Menschen, die ihre Tiere liebten. Ein
wunderbares Hundeleben – eigentlich. Wenn Frauchen nur nicht davon besessen
gewesen wäre, dass Fridos Verhalten bei den seltenen Hundebegegnungen ein
Problem sein würde. Kein Problem für ihn – diese insgesamt vielleicht fünf,
sechs Minuten im Monat hatten keinerlei weitere Auswirkung auf ihn. Aber
Frauchen hatte den Gedanken, sich dadurch vor anderen Menschen zu blamieren.
Sie wollte Frido ein anderes Verhalten beibringen. Also fuhr sie von
Hundeschule zu Hundeschule, brachte Frido immer wieder in diese
Begegnungssituation, schleppte ihn in Städte und übte und übte. Mit
unterschiedlichen Methoden, mal freundlich – weil das nicht schnell genug ging
auch mit unfreundlichen Konsequenzen für Frido. Weil dadurch aus dem eigentlich
freundlichen Hund ein nervöser Hund mit aggressiven Tendenzen wurde kehrte sei
wieder zur Belohnung zurück. Und wieder – Sie werden es sich denken können. Ein
ständiges hin und her. Ein ständiges üben und trainieren. Und nichts half
wirklich – warum, darüber kann ich nur spekulieren, weil ich den Fall nur aus
Erzählungen von Fridos Frauchen kannte. Ich selbst hatte ein kostenintensives
Training mit den Beiden vor vielen Jahren abgelehnt, weil ich kein ernsthaftes
Problem sah – zu dem Zeitpunkt. Anscheinend hatte sich im Laufe des obsessiven
Trainings über Jahre vieles zum Schlechteren Verändert. Und in den letzten
Monaten vor seinem Tod wohl doch wieder etwas besser entwickelt –
möglicherweise auch dem Alter geschuldet. Ein Gedanke, der Frauchen überhaupt
nicht kam. Sie bemerkte, dass sie auf
einem guten Weg war – bei einem alten Hund. Und jetzt war sie traurig, weil sie
den guten Weg nicht bis zum Ende gehen konnte. Weil Frido vorher aufgegeben
hatte.
Trauriges Frauchen
Was mich dabei nachdenklich machte war die Tatsache, dass
anscheinend nicht der Tod von Frido der Hauptgrund für die Traurigkeit der
Besitzerin war, sondern die Tatsache, dass der Trainingsweg nicht bis zum Ende
gegangen werden konnte.
Verschwendete Lebenszeit?
Frido hatte ein schönes Leben, ein schönes Umfeld und
Menschen, die ihn liebten. Doch sehr viel seiner schönen Zeit wurde mit
Training „verschwendet“, welches 10 Jahre lang zu keinem wirklich greifbaren
Ergebnis führte. Ich hatte das Gefühl, dass Frauchen gefallen an der Tätigkeit
des Trainierens gefunden hatte, es ihr Hobby wurde. Ob Frido das Hobby teilte,
ist eine andere Frage. Er musste es mitmachen. Jetzt ist er tot und für mich
bleiben nur Fragen: Ein Hundeleben ist leider sehr kurz im Verhältnis zu einem
Menschenleben. Sollte man die gemeinsame Zeit nicht so nutzen, dass alle
beteiligten es genießen? Und das gemeinsame Leben nicht auf einem Weg
verlieren, den nur der Mensch gehen möchte?
Jetzt ist Frido gegangen. Sein Lebensweg ist zu Ende, er hat
sich verabschiedet. Die verlorene Zeit bringt niemand zurück…
Der Artikel wurde ursprünglich in der Reihe "Abschied für immer" in der Fabelschmiede.de veröffentlicht