Im Konflikt mit dem eigenen Hund? Lassen Sie ihn mal gewinnen…
Man liest und hört heute viel über „Grenzen
setzen“ und „Konfliktmanagement“. Mein persönlicher Eindruck ist, wenn diese
Begriffe genannt werden, dass damit eine bestimmte Art der Hundeerziehung
gerechtfertigt werden soll. Denn letztlich läuft die Nutzung der vorgenannten
Begriffe häufig darauf hinaus, dass empfohlen, bzw. geraten wird, dass man
Grenzen notfalls auch mit unangenehmen Mitteln dem Hund gegenüber durchsetzen
soll. Zudem wird im Zusammenhang mit Konflikten gern betont, dass diese zum
Leben gehören und man sich diesen stellen soll.
Mensch will
immer „gewinnen“ – aus Angst der Hund möchte die Welt beherrschen
Das „sich stellen soll“ läuft aber fast immer
darauf hinaus, das geraten wird, der Mensch müsse den Konflikt zu seinen
Gunsten gestalten. Der Mensch soll also sämtliche Grenzen setzen und alle
Konflikte für sich entscheiden. Mit der Quintessenz, dass ein Hund, wenn man
diese Ratschläge nicht befolgt, für den Menschen negative Verhaltensweisen (z.
B. Aggressionen gegen den Menschen) zeigen könne. Im Klartext gesagt, das
Gerede von Grenzen und Konflikten läuft letztlich auf genau die Gleiche
Kernaussage hinaus, wie längst überholt geglaubte Sprüche, Weisheiten und
Erziehungsmethoden in der Hundeausbildung. Dominanz, Alpha, „ich muss der Boss
sein“, Rudelführer, Hunde dürfen nicht erhöht liegen oder als erste durch die
Tür etc., werden heute durch „Grenzen setzen“, Beziehung und Konfliktmanagement
ersetzt. Das hört sich besser, ja freundlicher an – hat aber letztlich oft
(natürlich nicht immer) den gleichen Sinn: Eine Rechtfertigung zu finden, Hunde
in bestimmten Situationen „härter“ zu behandeln. Ich möchte mich an dieser
Stelle gar nicht damit beschäftigen, dass es ein grundsätzlich falscher Ansatz
ist zu glauben, ein Hund würde sich zum weltbeherrschenden Monster aufschwingen
wollen, wenn man ihm nicht ständig Grenzen setzt oder ihn „kleinhält“. Ich
möchte hier einmal darauf eingehen, was es für ein Lebewesen bedeutet, wenn es
jeden Konflikt verliert.
Ohne
Konflikte können sich Mensch wie Hund nicht entwickeln
Konflikte sind wichtig im Leben. Sie sind einer
der wichtigsten Gründe dafür, warum wir uns weiterentwickeln. Wenn wir uns nie
einem Konflikt stellen würden, könnten wir nie herausfinden, was wir in der
Lege sind zu leisten, welche persönlichen Grenzen wir haben und welche externen
Grenzen wir nicht überschreiten sollten. Es ist dabei ganz wichtig, dass wir
innerhalb eines Konfliktes aber auch mal der Gewinner sind, einen Konflikt für
uns entscheiden. Aus der Konfliktforschung beim Menschen weiß man, dass ein
Mensch, der nie einen Konflikt für sich entscheidet, ein großes Problem mit dem
Selbstbewusstsein sein – er traut sich nichts zu, ist ängstlich und die
kleinste Anforderung im Leben ist eine nicht zu bewältigende Aufgabe und
verursacht Stress. In der bekannten Form eines biochemischen Ungleichgewichts –
z. B. dauerhaft erhöhtes Stresshormon Cortisol und zu wenig Serotonin, welches
als „Gegenspieler“ des Cortisol den Spiegel wieder senken sollte. Aber das Fachkauderwelsch
nur am Rande. Wichtig ist zu erkennen, dass ein hochentwickeltes Lebewesen
nicht ständig der Verlierer in Konfliktsituationen sein darf. Ein Verlierer hat
kein Selbstbewusstsein, er traut sich nichts und fühlt sich dauerhaft „nicht
Wohl“. Wenn ein Tier in freier Natur jeden Konflikt verlieren würde, würde es
sich nichts mehr zutrauen, praktisch nur noch irgendwo herumliegen und
verenden. Das hört sich hart an, aber es ist eigentlich recht einfach zu
verstehen, dass ich Selbstvertrauen benötige, mich dem Leben zu stellen und
nicht nur „die Decke“ über den Kopf ziehen kann. Aber genau das macht ein
Mensch, aber auch ein Hund, wenn er nie einen Konflikt für sich entscheiden
darf und kann.
In Konfliktsituationen gibt es also Gewinner und
Verlierer. Aber es gibt auch den Konsens, den Kompromiss in einer
Konfliktsituation. Das ist die günstigste Variante für alle Beteiligten. Emotional
gehen dabei alle als Gewinner hervor und es gibt keine Verlierer. Man sollte
daher bei einem Konflikt nicht immer daran denken, diesen einseitig zu
entscheiden, sondern nach Kompromissen zu suchen. Wie man das in der
Mensch/Hundbeziehung im Einzelnen macht, werde ich in einem späteren Artikel
näher erläutern. Hier ist es mir wichtig aufzuzeigen, dass Konflikte und
Grenzen setzen wichtige Bestandteile des Lebens von Mensch und Hund sind, es
aber fatale Folgen für die Psyche und das Wohlbefinden eines Säugetieres hat,
wenn man immer nur der ist, dem Grenzen aufgezeigt werden und der immer nur als
Verlierer aus Konflikten hervorgeht. Mal Verlieren ist wichtig, um zu lernen
mit Frustrationen umzugehen, immer verlieren kostet Lebensqualität, ggf. das
Leben…
Hund darf
nicht alles – aber er sollte mal gewinnen. Oder es glauben…
Das soll jetzt natürlich nicht heißen, dass man
Hunde machen lassen soll, was sie möchten und darauf hoffen, dass sie sich hier
und da durchsetzen und einen Konflikt gewinnen. Das soll es ganz und gar nicht
heißen – aber wir Menschen als vermeintlich intelligente Lebewesen können und
sollten Hunde in einigen Situationen glauben lassen, dass sie einen Konflikt
für sich entschieden haben oder ihnen auch die Freiheit lassen, uns mal Grenzen
zu setzen. Z. B., wenn sie keine Lust haben gestreichelt zu werden und uns dies
deutlich mitteilen, lassen wir es halt mal bleiben. Oder wenn ein Hund an der
Grundstücksgrenze fremde Hunde verbellt können wir dem Hund den Glauben lassen,
er hätte den vorbeigehenden Hund vertrieben und davon abgehalten, ins eigene
Revier einzudringen. Das muss natürlich alles in einem „normalen“ vertretbaren
Rahmen sein, aber es ist wichtig, dass mein Hund diese Erfolgserlebnisse hat,
für sein persönliches Wohlbefinden und für eine ausgeglichene Biochemie in
seinem Körper.
Hund mit
zwei Konflikten gleichzeitig überfordert
Hanebüchener Quatsch ist übrigens in solch einer
Situation, wenn ein Hund am Zaun einen anderen verbellt, diesen mit
Rappelbüchsen oder Wasserpistolen davon abzubringen. Das sind nämlich genau die
Momente, wo die superschlauen „Hundeexperten“ davon faseln, dass der Mensch sich
dem Konflikt mit dem Hund stellen müsse, um von diesem „ernst genommen“ zu
werden. Das ist von daher Quatsch, weil der Hund in dem Moment ja gar keinen
Konflikt mit dem Menschen hat. Er hat einen mit dem fremden Hund, wenn ich als
Mensch mich jetzt noch gewaltsam einmische, schaffe ich einen weiteren Konflikt
– den Konflikt des Hundes mit seinem Menschen. Der Hund hat jetzt zwei
Konflikte und wird überfordert…
Alternativverhalten
als Kompromiss
Wenn sich der Mensch schon einmischen möchte oder
muss, sollte er in dieser Situation ein Alternativverhalten des Hundes
trainieren, welches der Hund letztlich als Kompromiss interpretiert – wodurch
es wieder mehr Gewinner gibt.
Lange Rede, kurzer Sinn: Konflikte und Grenzen
sind Lebenswichtig und gut, dürfen aber in einer sozialen Beziehung auf keinen
Fall nur einseitig entschieden werden. Der „Dauerunterlegene“ führt dadurch
emotional ein bescheidenes Leben. Zudem sollte ich einem bestehenden Konflikt
keine weiteren hinzufügen, weil das Mensch und Hund in letzter Konsequenz fast
immer überfordert und die Beziehung oft nachhaltig zerstört. Wir Menschen
sollten in der Lage sein, dem Hund glauben zu machen, dass er hier und da ein
Gewinner ist, dass er uns auch Grenzen setzen kann und darf und dass er auch
mal einen Konflikt für sich entscheidet. Alles natürlich in einem vernünftigen,
sozialverträglichen Verhältnis.