Märchenwelt Hundeerziehung – „Raum einnehmen“ oder einschüchtern?
Ein Hund sitzt auf der Rückbank eines Autos und
bellt. Er sitzt dort immer, wenn er mitgenommen wird. Und bellt dann ständig.
Warum er bellt, ist den Besitzern nicht bekannt. Ein Hundetrainer kommt und
soll das Problem beheben. Er setzt sich
während der Fahrt neben den Hund. Als der Hund bellt, rückt der Mann immer
näher an den Hund. Verdutzt wird der Hund ruhiger, bellt aber nach einer
Gewöhnungsphase weiter. Daraufhin rückt der Mann weiter, so weit, bis der Hund
praktisch zwischen ihm und der Autotür eingeklemmt ist. Das Bellen verstummt.
Wenn der Mann wegrückt, bellt der Hund wieder.
Also wird er wieder eingequetscht. Das Ganze wiederholt sich einige Male, bis
der Hund für längere Zeit still ist.
Unsicherer Hund wegen
„freiem Raum“
Die Erklärung des Hundetrainers für den (scheinbar)
schnellen Erfolg: Das ist ein Hund, der keinen Raum haben darf. Bei zu viel
Raum fühlt sich der Hund unsicher und bellt deswegen. Wenn ich ihm den Raum
nehme, fühlt er sich sicher und hört mit dem Bellen auf.
Derselbe Hund zieht gern an der Leine. Bei dem Problem geht
der Trainer folgendermaßen vor: Er zieht (ruckt auch) den Hund hinter sich –
und nimmt so „den Raum vor dem Hund“ ein. Auch hier wäre der Hund unsicher, würde
deshalb ziehen. Wenn man den Raum vor dem Hund einnehmen würde, würde dieser
sich wieder sicherer fühlen und nicht mehr ziehen…
Andere
Erklärungsansätze
Oh, mein Gott – das ist etwas, wo man mal absoluten Klartext
sprechen muss. Was für ein hanebüchener Blödsinn! Es gibt da ganz andere
Erklärungsansätze, warum diese „Methoden“ funktionieren.
Einschüchtern die
passendste Bezeichnung

Das Prinzip, den Hund zu bedrängen, ihm den Raum zu nehmen,
kann man logisch und nüchtern betrachtet nur als einschüchtern bezeichnen.
Übrigens auch das Zurückreißen und sich vor dem Hund bewegen beim Gassigang.
Märchen verschleiern
Einschüchterung – und erkennen keine Ursachen
Diese Aussage, den Raum auszufüllen, in dem sich der Hund
unsicher fühlt, ist zwar kreativ und plakativ. Wenn man aber ein wenig den
gesunden Menschenverstand einsetzt, kann man den Sinn der Aussage und der
Handlung sehr leicht eingrenzen. Die Einschüchterung des Hundes wird
verschleiert. Der Schwachsinn wird in ein anderes verbales Gewand gekleidet. Es
ist wirklich mehr als erstaunlich, mit welchen kreativen Märchen man das
Einschüchtern der Hunde rechtfertigt und verkleidet. Aber im Grunde ist es doch
so einfach. Hund unterlässt unerwünschtes Verhalten durch unangenehme
Konsequenz. Das wirkt. Und es wirkt auch meist schnell. Vergessen wird dabei
nur, dass der Grund, warum der Hund das unerwünschte Verhalten zeigt, nicht
erkannt und abgestellt wurde – es wird nur das Symptom „behandelt“. Und die
Nebenwirkungen – verunsicherter Hund, vielleicht Aggressionssteigerung – werden
komplett vernachlässigt.
Skepsis besser als an
Märchen zu glauben
Mein Tipp an alle Hundehalter: Seien Sie immer skeptisch,
wenn Ihnen einfache Sachverhalte in märchenähnlichen Geschichten
vermittelt werden. Der Mensch liebt zwar Märchen und möchte wohl auch
belogen werden. Warum sonst würde wohl so vielen Scharlatanen in der Hundewelt
geglaubt? Aber wenn der Mensch auch an Märchen glauben möchte – sollte man
immer daran denken, dass der Leidtragende der Hund ist.
Übrigens, was denken Sie, warum die Hundehalter bei mir
vorstellig wurden? Nun, als sie selber die „Methode“ des „Raumausfüllens“ im
Auto ausprobieren wollten, wurde die Besitzerin gebissen. Wenn ich der Hund
gewesen wäre, hätte ich auch gebissen…