Der Blickwinkel des Hundehalters
Jeder
Mensch sieht die Welt aus einem speziellen Blickwinkel. Auch Menschen, die sich
ähnlich sind, schauen dennoch immer von ihrem eigenen Standpunkt auf die Welt.
Nicht nur der Standpunkt, auch die kulturelle und soziale Umgebung richtet den
Blick. Ebenfalls persönliche Erfahrungen, Prägungen durch Familie, Freunde und angeborene
Charaktereigenschaften machen einen Menschen aus. Es gibt Menschen, die mögen
Action, andere sind eher gemütlich. In sozialen Fragen bevorzugen einige
strikte Hierarchien, andere sind locker und entspannt im Umgang mit Freunden
und Kollegen. Einige Menschen sind genau und ordentlich, andere da eher
unaufgeräumt usw. Und alle Eigenschaften sind in unterschiedlicher Ausprägung
dann noch unterschiedlich gemischt. Wie sagt man im Rheinland so treffend:
"Jeder Jeck ist anders". Das trifft es ziemlich gut. "Jeck"
kann man frei mit einer Art positiver Verrücktheit übersetzten. Und es ist
wirklich verrückt, wie anders und unterschiedlich die Menschen sind. 7
Milliarden Menschen, 7 Milliarden Blickwinkel.
Ähnliche
Blickwinkel finden zueinander
Wenn jetzt
Menschen mit diesen unterschiedlichen Blickwinkeln zusammenleben möchten, ist
die Eigenschaft der gegenseitigen Anpassung die Grundlage für das Zusammenleben
der komplizierten und vielfältig denkenden Spezies Mensch. In unserer
Gesellschaft ist der große Vorteil, dass soziale Gemeinschaften in der Regel
auf freiwilliger Basis beruhen - lässt man Normen des jeweiligen
sozialkulturellen Umfelds einmal außen vor. Im Grunde können wir Menschen uns
diejenigen Menschen, mit denen wir zusammenleben, freiwillig aussuchen. Das
vereinfacht die Anpassung ungemein. Wenn auch jeder einen anderen Blickwinkel
hat, so ist es dennoch üblich, dass sich eher Menschen mit sich ähnlichen
Blickwinkeln in sozialen Gemeinschaften zusammenfinden. Um noch ein Mantra nach "jeder Jeck ist anders"
zu bemühen: "Gleich und gleich gesellt sich gern".
Blickwinkel
auf Hunde
Genauso
unterschiedlich, wie wir Menschen sind, und genauso unterschiedlich, wie wir
die Welt sehen, schauen wir auch auf unsere Hunde. Oder besser: Genauso
unterschiedliche Erwartungen haben wir an unsere Hunde. Im Bereich der
Ausbildung, wie auch im Bereich des sozialen Zusammenlebens. Der eine Mensch
sieht seinen Hund, so unangemessen das klingt, als "Sportgerät", als
Mittel zum Zweck, seine eigenen sportlichen Ambitionen auszuleben, oft sogar
noch gekoppelt an sportlichen Erfolg, an Pokale und Urkunden. Manchmal soll der
sportliche Hund aber "nur" der Joggingbegleiter sein. Andere Hunde
sollen der Spielkamerad für Kinder sein, der Gesellschafter für einsame
Menschen, Wachhund, Jagdbegleiter, Seelentröster. Sie sollen in der Stadt im Café
liegen, sollen immer freundlich zu Fremden Menschen und Tieren sein, egal wie
ihr tägliches Befinden ist, ob sie sich wohl fühlen, oder nicht. Und manche
Hunde sollen all das gleichzeitig beherrschen. Egal wo sie sind, egal wo
Menschen sie hingebracht haben. Sie müssen funktionieren. Nicht freiwillig, sie
werden dazu gezwungen so zu funktionieren, wie es der jeweilige Mensch mit
seinen jeweiligen Ansprüchen es vom Hund verlangt. Und jeder verlangt etwas
anderes. 7 Milliarden Menschen, 7 Milliarden Blickwinkel. Millionen
Hundebesitzer mit Millionen Ansprüchen und Blickwinkeln auf ihren Hund.
Mensch
denkt an sich
Hunde
sollen immer funktionieren, sich immer und überall so verhalten, wie wir
Menschen uns das vorstellen. Es wird nicht danach gefragt, ob sie sich dabei
wohlfühlen, sie haben sich zu fügen. Sie haben friedlich im Café zu liegen, sie
haben sich von fremden Kindern streicheln zu lassen. Sie müssen neben dem
Fahrrad herlaufen, weil Herrchen denkt, es sei richtig für den Hund. Auch wenn
sie keine gerade keine Lust dazu haben, sich vielleicht mit etwas anderem
beschäftigen möchten oder einfach nur rumliegen möchten. Wenn Mensch den Hund
an das Fahrrad hängt, wird gelaufen...
Trotz Zucht
noch Individuen
"Aber
Hunde werden doch für bestimmte Aufgaben gezüchtet", wird sich jetzt
mancher denken. Sicher, wir haben einige angeborene Eigenschaften der Hunde für
unsere Zwecke verstärkt. Beim Jagdhund ist das Jagdverhalten schneller
abzurufen als bei anderen Rassen, beim Schlittenhund kann man die Ausdauer
leichter erzielen. Trotzdem ist es eine Beleidigung für einen Jagdhund, wenn
man ihn nur auf das Jagen reduziert oder den Schlittenhund auf das Rennen. Im
Beschäftigungsbereich. Denn auch diese Hunde sollen auf Knopfdruck ihr
Zuchtziel abrufen und dann später friedlich im Café liegen und sich von Kindern
streicheln lassen.
Anpassungsfähige
Hunde
Hunde sind
anpassungsfähige Lebewesen. Und die meisten von ihnen ertragen mit unglaublicher Freundlichkeit
alles, was Menschen sich so ausdenken. Es gibt 500.000.000 Hunde auf dieser
Welt. Jeder mit einem ganz eigenen Blickwinkel. Zwar leben die meisten dieser
Hunde ohne Besitzer. Doch diejenigen, die bei Besitzern leben, werden in den
Blickwinkel des Besitzers gepresst – ohne gefragt zu werden.
Interessen
der Hunde berücksichtigen
Es wäre
schön, wenn die Hundehalter, bevor sie ihre eigenen Interessen in den
Vordergrund stellen, einmal schauen, ob die Hunde die Interessen teilen. Wie
gesagt, nicht jeder Husky will sich die Lunge aus dem Hals rennen, nicht jeder
Chihuahua in einer Tasche transportiert werden. Nicht jeder Hund mag es
unterdrückt zu werden, weil Frauchen irgendeinen Blödsinn über „Dominanz“ oder
„Rudelführer“ gelesen hat. Nicht jeder Hund will über belebte Plätze oder
Veranstaltungen geschleppt werden, weil Herrchen sich dort gerne aufhält. Ja,
sie sind anpassungsfähig. Aber sich ständig an etwas anzupassen, was man nicht
mag, oder was einem ggf. sogar Angst macht, das stresst. Und wenn der Stress zu
viel und zu lang anhaltend ist, kann er krank machen, vielleicht sogar
aggressiv. Selbst bei dem freundlichsten Hund.
Es wäre
daher noch schöner, wenn Hundehalter nicht nur ihre eigenen Interessen in den
Vordergrund stellen würden. Nicht nur ihre eigenen Blickwinkel betrachten. Man
sollte immer bedenken, dass Hunde eigene Interessen und Blickwinkel haben. Und
wenn die Interessen unterschiedlich sind, sollte der Mensch in der Lage sein,
sich damit zu arrangieren. Und den Hund nicht gewaltsam in das menschliche
Interessenschema pressen. Wenn man einen Husky hat, der nicht stundenlang
stupide neben einem Fahrrad herrennen möchte, muss man eben herausfinden, was
ihm wirklich spaß macht. Und Fahrradfahren kann der Mensch doch auch
allein…