Mach es noch einmal, Sam
Genau in dem Moment, als ich die Türklingel der
Erdgeschosswohnung von Frau C. drückte, hörte ich das Bellen eines Hundes, der
zur Tür raste. Doch plötzlich wurde es still. Dann vernahm ich die Stimme einer
Frau, die dem Hund einen Befehl gab. „Ab in dein Körbchen“, rief die Frau und sofort
nahm ich das Tapsen und Klackern der Hundepfoten mit ihren Krallen wahr. Es
hörte sich so an, als ob der Hund tatsächlich die Anordnung seines Frauchens
befolgen würde und ins Körbchen wanderte. Doch bald darauf ertönte das gleiche
Bellen und ich hörte, wie der Hund erneut zur Tür stürmte. Abermals wurde er
von seinem Frauchen, die inzwischen brüllte, auf seinen Platz geschickt. Der
Ablauf wiederholte sich noch einige Male: Zurücktapsen, wieder losstürmen und
„ab ins Körbchen“. Man sollte hier nicht unerwähnt lassen, dass sich diese
Geschichte im Winter abspielte und es schneite. Ich stand immer noch vor der
Tür, die nicht durch ein Vordach oder Ähnliches geschützt war. Die
Schneeflocken konnten sich ungehindert auf mir niederlassen.
Nachdem das Spielchen im Innern des Hauses kein Ende
zu nehmen schien, schellte ich erneut und rief Frau C. zu: „Lassen Sie mich
bitte herein, das Hundeproblem können wir dann angehen – dafür bin ich doch
da!“
Allerdings ging auch jetzt die Tür nicht sofort auf. Frau
C. versuchte noch einmal, ihren Hund zu maßregeln, um ihn wohl in einen Raum zu
sperren – jedenfalls hörte ich eine Tür ins Schloss fallen und danach klang das
Bellen des Hundes irgendwie „dumpfer“. Endlich, nach einer subjektiv
empfundenen Ewigkeit kam Frau C. zur Tür. Nachdem der Schneefall sich innerhalb
dieser Ewigkeit auch merklich gesteigert hatte, konnte man auf meinem Kopf
inzwischen eine geschlossene Schneedecke erkennen und meine Gesichtszüge ließen
sicher keinen Zweifel daran, dass ich mit der Rolle als Schneemann nicht
unbedingt glücklich war. Als Frau C. mich und das winterliche Wetter sah, entflog ihr nur eine kurze Feststellung: „Huch, es
schneit ja!“
Nachdem ich mich in bester Hundemanier geschüttelt
hatte, um den Schnee loszuwerden, konnte ich das Haus betreten und mich dem
Problem der Dame widmen, welches sie mit ihrem Parson Russel Terrier Sam hatte.
Doch eigentlich brauchte sie es nicht groß zu erläutern, während meines „Winterurlaubs“
vor ihrer Tür konnte ich mir akustisch ja bereits ein umfassendes Bild der
Situation machen. Und richtig, das Problem bestand darin, dass Sam immer
Theater an der Tür machte, wenn es schellte. Von Freunden und Bekannten hatte
Frau C. nun den Rat bekommen, Sam in sein Körbchen zu schicken, sobald jemand
an der Tür war. Im Körbchen, so die Bekannten, solle sie ihn dafür belohnen und
ihm ein Leckerchen geben. Das mit dem Körbchen und dem Leckerchen funktionierte
auch, aber sofort, nachdem sich Sam seine Belohnung im Körbchen abgeholt hatte,
rannte er wieder zur Tür. Im Prinzip war die Herangehensweise, die Frau C.
empfohlen worden war, nicht ganz falsch, die Umsetzung allerdings war vollkommen
verfehlt. Sam hatte nicht gelernt, dass er nicht bellen soll, sondern nur, dass
immer ein tolles Spiel begann, wenn es an der Tür schellte. Aus seiner Sicht
war das so: Immer wenn es klingelt, muss
ich zur Tür rennen und bellen, dann ruft Frauchen mich zum Körbchen und belohnt
mich, und wenn ich das Ganze immer wieder mache, bekomme ich bei jedem
„Vorbeischauen“ im Körbchen ein Leckerchen. Tolles Spiel, Frauchen hat da auch
eine super Geduld und wiederholt es so lange, wie es mir Spaß macht.
Wenn man nicht möchte, dass Hunde bellend zur Tür
laufen, gibt es mehrere Möglichkeiten, ihnen ein Alternativverhalten
anzutrainieren. Solange sie ohne Gewalt auskommen, kann ich viele davon
tolerieren und ein großer Teil führt ja auch zum Erfolg. Es ist jedoch wichtig,
dass diese Trainingsarten konsequent und vor allem richtig ausgeführt werden.
In Sams Fall hätte man ihm zunächst beibringen müssen, im Körbchen zu bleiben,
bevor man ihn im „Ernstfall“ ins Körbchen schickt. Er muss wissen und
verknüpfen können, dass er, wenn er ins Körbchen muss, auch dort zu bleiben hat.
Klar muss er belohnt werden, sobald er sich auf seinem Platz befindet, aber
danach muss direkt der zuvor gelernte Begriff „Bleib“ erklingen, der bei
Ausführung wiederum eine Belohnung nach sich zieht. Wenn der Hund zuverlässig
im Körbchen bleibt, geht man zur Tür und öffnet. Das „Bleib“ hebt man durch
einen Aufhebungsbefehl, vielleicht ein „Okay“, wieder auf – welcher aber auch
vorher separat trainiert werden muss.
Das ist nur eine Möglichkeit, mit einem Hund in der
zuvor beschriebenen Situation umzugehen. Ich sage bewusst eine Möglichkeit,
weil mir auch klar ist, dass Frau Schlau Meier, die gerade dieses Buch liest,
sicher einen anderen Weg bevorzugt. Bei Sam und seinem Frauchen hat diese
Methode gut gewirkt. Heute geht er sofort ins Körbchen, wenn es schellt. Frau
C. wäre allerdings nie so weit gekommen, wenn sie auf den Rat ihrer Bekannten
gehört hätte. Vermutlich wäre der eine oder andere Besucher vor ihrer Haustür
erfroren …
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Die Geschichte ist meinem Buch „Wer ist hier der
Schlaumeier“ entnommen, welches am 22.6.2011 erschienen ist. Also heute „Geburtstag“
hat…
Es enthält noch viele Geschichten aus meinem
Berufsalltag, die oft amüsant, teilweise traurig, aber immer skurril sind.
Zeichnung © Zapf