Ein bisschen erschrecken schadet doch nicht – Oder: Die Suche nach dem Tal der Deppen…
Eigentlich ist Klartexthund ja im Urlaub. Aber es gibt
Geschichten, die muss man erzählen, solange sie noch frisch sind – damit man dazu
noch die emotionale Nähe hat…
Heute Vormittag. Ich gönne mir ein Frühstück
auswärts in einem Restaurant in der Stadt. Zwischen Weihnachten und dem
Jahreswechsel ist es dort erwartungsgemäß recht voll. Da kommt ein Paar mit
einem kleinen Hund herein, den ich als Westie identifiziere. Sie setzen sich an
den Tisch direkt neben mir. Der Hund legt sich unter den Stuhl seines Frauchens
und drückt sich an deren Beine. Er zeigt deutliches Stressverhalten. Er hechelt
stark, sabbert dabei und klemmt die Rute fast schon in den Körper. Eine Kellnerin
kommt vorbei, beladen mit gebrauchtem Geschirr und Besteck. Fast direkt am
Tisch des Hundes und seiner Besitzer fällt etwas vom Besteck scheppernd auf den
Boden, fast erwischt eine Gabel den Hund. Die Besitzer ignorieren den Hund…
Gestresster Hund wird ignoriert
Das Restaurant wird immer voller. Menschen drängen
an den Tischen vorbei, einige bleiben vor den Tischen stehen um nach einem
Platz zu suchen, andere ziehen ihre schweren Winterjacken aus – einmal jemand
so, dass der umherschleudernde Ärmel den Hund fast im Gesicht trifft. Dann scheppert
es wieder irgendwo im Raum, weil jemand eine Tasse vom Tisch fallen lässt,
woanders erneut eine Gabel zu Boden knallt. Ich beobachte den Hund und stelle
eine Geräuschempfindlichkeit fest. Bei jedem lauteren Geräusch zuckt er
zusammen und presst sich immer stärker an Frauchen, die ihn aber konsequent
ignoriert. Schon nach zwei bis drei Minuten ist der Hund kurz davor, panisch zu
werden – seine Augen sind starr und weit geöffnet. Er fängt an zu wimmern. Und –
Frauchen reagiert plötzlich. Sie ruckt einmal an der Leine und zischt ein „Still“
in Richtung des Hundes. Da reicht es mir. Zwar habe ich mir vorgenommen, so gut
es geht nicht den Schlaumeier raushängen zu lassen und nicht jeden immer und
überall von meinem Umgang mit Hunden überzeugen zu wollen. Aber das hier war zu
viel. Ich ärgere mich sogar, dass ich erst nach einigen Minuten eingegriffen
habe. Ich frage also die Hundebesitzer, ob sie nicht bemerken würden, dass ihr
Hund gerade Höllenqualen leiden würde und bitte sie, den Hund auf den Arm zu
nehmen und mit mir vor die Tür zu gehen – was dem Mann gefällt. Er ist Raucher.
Selbst verschuldete Geräuschempfindlichkeit
Draußen erfahre ich, dass sie den Hund bewusst
mitgenommen haben, damit er die Angst vor Geräuschen verliere – laut ihrer
Hundetrainerin sollen sie den Hund gezielt solchen Situationen aussetzen. Er soll
sich daran gewöhnen, wenn er Angst hat, soll er konsequent ignoriert werden und
wenn er jammert oder laut wird, soll er konsequent zurechtgewiesen werden. Als
ich diese Worte höre, kommt in mir ein Verdacht auf. Ich fragte die Besitzer,
ob der Hund vielleicht an anderer Stelle schon einmal ein „Fehlverhalten“
gezeigt hätte und ob sie ihn dann auch immer zurechtgewiesen hätten. „Natürlich“,
sagte die Frau. „Er hat an der Leine immer andere Hunde angekläfft. Unsere
Trainerin hat uns dann geraten, ihm immer ein Schlüsselbund vor die Nase zu
werfen, wenn er das macht. Das hat wunderbar geklappt“. Meine Frage darauf: „Und?
Lassen Sie mich raten. Jetzt geht er ruhig an anderen Hunden vorbei. Zieht er
dabei auch die Rute ein und schaut unsicher zu Ihnen?“
„Ja, genau“, antwortet die Frau, „woher wissen sie
das? Sind sie so eine Art Hundeflüsterer?“
„Nein“, antworte ich, „ ganz bestimmt nicht. Als
Kind wurde mir schon beigebracht: Wer flüstert, der lügt…“
Hund muss nicht wieder ins Restaurant
Nun gut, nach diesem kurzen Gespräch konnte ich
die Menschen sachlich davon überzeugen, den Hund nicht wieder in das Restaurant
zu schleppen. Dann habe ich Ihnen noch einige Tipps bezüglich des Tröstens von
Hunden gegeben, ihnen eine Visitenkarte überreicht und ihnen eine kostenlose
Beratung angeboten. Ich weiß, wirtschaftlich dumm, vielleicht auch nicht fair
den Wettbewerbern gegenüber. Ist mir aber schnurzegal – der kleine Hund tut mir
einfach leid. Ich hoffe, sie melden sich…
Was mich aber mehr als wütend macht sind die
Ratschläge dieser „Hundetrainerin“. Was hier nämlich mit dem Hund geschehen
war, lag auf der Hand. Eine Leinenaggression des Hundes gegen Artgenossen wurde
einfach mit Schreckreizen schnell „wegtrainiert“. Was eine
Geräuschempfindlichkeit zur Folge hatte, die in einer starken Furcht gegenüber
sämtlichen, auch alltäglichen Schreckreizen gipfelte. Und wenn sich der Hund
fürchtet, „darf“ er nicht einmal getröstet werden – sondern soll ignoriert
werden. Weil trösten angeblich die Furcht verschlimmert. Dass das Unfug ist,
kann man hier nachlesen:
Das Tal der Deppen
Es ist wirklich unglaublich, mit welchem Blödsinn
Hunde konfrontiert werden, welche „Erziehung“ sie über sich ergehen lassen
müssen. Und komm mir keiner mit dem Spruch, dass „ein kleines bisschen
erschrecken doch nicht schadet“. Jedem, der das in dem Zusammenhang mit diesem
vollkommen verängstigten kleinen Westie sagt, dem wünsche ich, dass er dieses
Traumata mal selbst erlebt. Am liebsten würde ich alle, die solch einen Käse
verbal verbreiten mal in ein Tal beamen. Ein Tal, wenige Meter breit, mit
hohen, steilen Seitenwänden. Und von diesen Seitenwänden fallen immer mal
wieder dicke Steinbrocken ins Tal – ganz unkalkulierbar, plötzlich – aber oft.
Sie fallen auf jeden, der durch das Tal wandert. Und diejenigen, die ich
dorthin beame, müssen immer wieder durch das Tal laufen. Wenn sie das eine Ende
erreicht haben, müssen sie wieder zurück –jeden Tag. Natürlich werden sie sich
vor jedem Gang fürchten. Aber trösten darf sie keiner…
Und nicht nur die „Bisschen-erschrecken-Schwätzer“
wünsche ich in dieses Tal der Deppen. Alle Hundetrainer, die so etwas raten wie
die vorher genannte Hundetrainerin, wünsche ich auch in das Tal. Was allerdings
zur Folge hätte, dass ein Großteil der deutschen Hundetrainer auf einen Schlag
verschwunden wäre…
In diesem Sinne. Ich wünsche einen guten Rutsch
ins Jahr 2014! Aber Vorsicht! Nicht dass jemand im falschen Tal landet ;-)
(c) Fotolia