Giftköderschutz mit Nebenwirkungen?
Leider ist es so, dass Hunde Dinge aufnehmen und
fressen können, die nicht gut für sie sind. So unglaublich es auch sein mag, es
gibt sogar Menschen, die bewusst Giftköder auslegen, um Hunden zu schaden. Um
Hunde davor zu schützen, gibt es andere Menschen, die sich dafür engagieren,
dass Mensch (und Hund) gewarnt werden, wenn irgendwo solche Giftköder entdeckt
wurden. Die Warnungen sind gut.
Und es gibt Ratschläge, wie man verhindern kann,
dass Hunde alles Fressbare vom Boden aufnehmen. Das ist nicht immer so gut.
Trainingsvideo
Vor wenigen Tagen entdeckte ich im Internet eher
zufällig ein Video, welches sich genau damit beschäftigte. Ich möchte hier gar nicht
moralisch bewerten, was in dem Video gemacht wurde und vermeide es bei solchen
Dingen auch, darüber in sozialen Netzwerken zu diskutieren. Nach meiner ganz
persönlichen Erfahrung ist es unter Menschen einfach nicht möglich, schriftlich
zu diskutieren – irgendwann nehmen schriftliche Diskussionen immer eine „merkwürdige“
Form an. Trotzdem möchte ich mich zu dem Video äußern. Wie gesagt nicht wertend
oder „rechthaberisch“ – ich möchte einfach nur, dass alle, die so etwas
vorgesetzt bekommen, auch andere Aspekte der Sache aufgezeigt bekommen – und dann
selbst darüber nachdenken.
Hunde untereinander robust?
Also, worum ging es? In dem Video sollte einem
Hund beigebracht werden, keine Nahrung vom Boden aufzunehmen. Dafür wurde
draußen, beim Gassigang etwas Nahrung bereitgestellt und der Hund sollte daran
mit seinem Besitzer vorbeigehen. Der Hund wollte die Nahrung aufnehmen. Ein Hundetrainer
zeigte dem Hundehalter, der gleichzeitig das Video moderierte, wie man den Hund
von der Nahrungsaufnahme abhalten kann. Als der Hund sich der Nahrung näherte
und der Trainer den Hund nun an der Leine hatte, ruckte dieser an der Leine. Offensichtlich
war der Ruck für den Hund unangenehm. Er ließ von dem Versuch ab, die Nahrung
zu erreichen und verhielt sich daraufhin etwas verunsichert und ließ, solange
das Video lief, auch die Nahrung in Ruhe. Der Hundetrainer begründet sein
Handeln folgendermaßen (Gedächtniszitat, da das Video nicht mehr im Netz
verfügbar ist):
„Hunde gehen auch so Robust miteinander um. Es
gilt unter Hunden das Recht des Stärkeren. Wenn ein anderer, stärkerer Hund
jetzt hier gewesen wäre, hätte er dem Hund auch gezeigt, dass er stärker ist
und dem Hund die Nahrung weggenommen. Hunde sind nicht zimperlich“. Weiter
führte der Trainer aus, dass man mit dem Leinenruck ein „Nein“ verknüpfen
solle. Damit der Hund immer wisse, wenn er bei „Nein“ nicht mit damit aufhört
was er gerade macht, er Ärger mit dem „Stärkeren“ bekommt.
(c) Fotolia |
Das ist also, wie gesagt, ein Gedächtniszitat und
eine Gedächtnisschilderung der Videoinhalte. Eines Videos mit eigentlich löblichem
Gedanken, Hunde vor Giftködern zu schützen.
Nebenwirkungen
Wie schon erwähnt, möchte ich die Videoprotagonisten
gar nicht angreifen oder aufführen, wie schrecklich sie agiert haben. Das hilft
an dieser Stelle nicht – Rechthaberei rettet keinen Hund vor dem Giftköder…
Ich möchte aber gern einmal sachlich darstellen, warum
ich persönlich von solch einer Methode großen Abstand nehme. Nämlich aufgrund
von möglichen Nebenwirkungen. Dazu muss ich Ihnen aber zunächst einige Dinge
aus meiner Sicht erläutern.
Futter wird verteidigt und schnell gefressen –
ohne Futterrangordnungen
Wenn in dem Video gesagt wird, dass Hunde in
solche Situationen auch ruppig miteinander umgehen und nur der Stärkere das
Recht hätte, Futter zu nehmen etc., kann man das aus fachlicher Sicht so nicht
bestätigen. Erstmal gehen Hunde gar nicht so ruppig miteinander um, wie oftmals
propagiert wird. Wenn Hunde selbstbestimmt leben können, gehen sie eigentlich
recht freundlich miteinander um, Konflikte werden durch Kommunikation gelöst
und nicht durch Schmerz oder Aggression. Zudem kann man unter Hunden eigentlich
nie eine Futterrangordnung in der Form erkennen, dass sie anderen Individuen
Futter wegnehmen. Im Gegenteil, sie verteidigen zwar ihr Futter. Und das macht
jeder – ob jung, alt, groß oder klein – Futter ist existentiell wichtig und das
wird verteidigt. Es gibt unter normal sozialisierten Hunden allerdings keine Futterrangordnung.
Es gibt keinen stärkeren Hund, der „Nein“ oder „Aus“ ruft, worauf alle anderen
Hunde alles fallen lassen und es ihm überlassen. Wie gesagt, meist verteidigen
sie ihr Futter oder schlingen es ganz schnell herunter, wenn der Andere doch
stärker sein könnte. Dass die Videosituation, mit Leinenruck und „Nein“ unter
Hunden auch so vorkommt, kann man sachlich betrachtet sicher nicht bestätigen.
Ruppiger Umgang unter Hunden oft durch Menschen
verursacht
Übrigens – wenn Hunde sehr ruppig oder gar
aggressiv miteinander umgehen, sollte man immer sehen, warum sie das machen.
Ist die Haltung nicht stimmig, leben
sehr viele Hunde auf engem Raum und können sich nicht aus dem Weg gehen, wenn
Hunde immer mit hohem Tempo auf „Spielwiesen“ zu Action animiert werden - dass
können Stresssituationen sein, in denen Hunde ruppig sind. Aber, wie gesagt,
normalerweise sind Hunde untereinander freundlicher, als uns immer vermittelt
wird.
Hund lernt – mir wird Nahrung vorenthalten oder
weggenommen. Er wird Futteraggressiv
Okay, aber zurück zu den möglichen Nebenwirkungen.
Wie schon erwähnt gibt es keine Futterrangordnungen und jeder Hund verteidigt
sein Futter und schlingt es schnell runter, wenn er glaubt, es könnte ihm
jemand wegnehmen. Und genau dieses angeborene Hundeverhalten ist eine der
gefährlichsten Nebenwirkungen, die die im Film gezeigte Methodik birgt.
Letztlich lernt der Hund ja, dass man ihm Nahrung wegnehmen will. Das kann dazu
führen, dass er es aggressiv verteidigt. Futteraggression wird fast immer dadurch
ausgelöst, dass der Hund gelernt hat, dass ihm andere die Lebenswichtige
Ressource Futter streitig machen…
Schnelles Herunterschlingen statt Vorsicht
Der andere wichtige Punkt in dem Zusammenhang ist,
dass die meisten Hunde sich das, was sie als potentielle Nahrung erkannt haben,
zunächst anschauen – oder besser anriechen und mit der Zunge anschmecken. Stressfresser
und übersteigerte Fressleidenschaft bestimmter Rassen lassen wir hier einmal
außen vor. Aber die Mehrheit der Hunde möchte schon wissen, was das potentielle
Fressen ist und ob es genießbar ist. Wenn Sie aber mit dem unangenehmen
Leinenruck und dem „Nein“ konfrontiert wurden, kann es passieren, dass sie
Futter ganz schnell, ohne zu prüfen, einfach runterschlingen. Oft auch ganz
unauffällig, „hinterrücks“, damit der Besitzer es nicht mitbekommt und nicht
rucken kann oder es wegnehmen. Die Angst davor, dass die instinktiv als
lebensnotwendig angesehene Ressource Futter weggenommen wird, oder es mit
unangenehmen Folgen (Leinenruck) geahndet wird, wenn der Hund sie nimmt, kann
ihn zu einem blitzschnellen Fresser, zu einem Schlinger machen. Oft sehr
schnell, aber dennoch so unauffällig, dass der Besitzer gar nicht mitbekommt,
wenn etwas aufgenommen wurde. Hunde, die eigentlich nicht zum Schlingen neigen,
werden so sehr häufig zu Schlingern erzogen. Fatal, wenn sie auf Giftköder oder
andere giftige Nahrung treffen…
Konditioniert durch Leinenruck
Eine weitere Nebenwirkung ist die unbewusst
wirkende klassische Konditionierung, die hier ebenfalls zum Tragen kommt. Durch
den Leinenruck, der in jedem Fall unangenehm bis schmerzhaft wirkt, kann der
Hund Verknüpfungen im Gehirn erstellen, die einen unerwünschten Effekt haben.
Viele Dinge werden ja direkt verknüpft. Das geschieht ganz unbewusst im Gehirn.
Ein Beispiel, das jeder kennt: Man stößt sich kräftig den Arm, Schmerz und Wut
steigen in einem auf. Und ist man dann nicht automatisch irgendwie wütend auf
die Person, die zufällig dabei ist? Ich wette, jeder hat schon einmal eine
solche Situation erlebt. Eine unangenehme Situation übertragen auf die nächstbeste
Person…
Und was denken Sie, wie ein Hund sich fühlt, wenn
er einen Ruck am Hals bekommt? Bestimmt nicht toll. Und sieht er in diesem
Moment vielleicht ein Kind, oder einen anderen Hund – kann er die Verknüpfung
im Gehirn erstellen, dass Kind oder Hund böse sind…
Fehlverknüpfungen. Wohl die Hauptgründe für
Leinenaggressionen bzw. Aggressives Verhalten überhaupt.
Dauerstress durch Erwartung des Rucks – mit den
Folgen Gereiztheit und Aggression
Zudem ist ein „Training“ mit solch unangenehmen
Dingen wie dem Leinenruck in der Lage, eine Erwartungshaltung im Hund zu
wecken. Eine Erwartungshaltung, dass dieser Ruck immer irgendwann kommen kann,
wenn die Leine am Halsband (durch konditionierte Verknüpfung „Leine/Schmerz“)
ist. Das heißt, er ist einem Dauerstress ausgesetzt, in Erwartung einer
unangenehmen Sache. Dauerstress bedeutet aber auch dauernde Anspannung (eingerichtet
von der Natur, damit der Körper ggf. der Gefahr, dem Unangenehmen durch Flucht
oder Kampf begegnen kann). Ein Zustand, der aber damit verbunden ist, dass man
leicht überreagiert – eben weil das Stresssystem in einem dauerhaften
Alarmzustand ist, man ggf. schnell reagieren muss. Man ist insgesamt nervöser,
reizbarer, wenn man unter Dauerstress steht. Das Gefühl kennt auch jeder selbst
– wenn man einen stressigen Tag hatte, kann einen am Abend das kleinste,
falsche Wort vom Partner oder anderen auf die Palme bringen. So muss man sich vorstellen,
fühlt sich ein Hund, der einem Dauerstress durch Erwartung von unangenehmen
Dingen an der Leine, ausgesetzt ist…
Futteraggression, Nahrung herunterschlingen,
Gereiztheit, Aggression – „kleiner“ Ruck, große Folgen
Also, die in dem Video gezeigte Methode um Hunde
von Giftködern abzuhalten, hat eine Reihe von möglichen Nebenwirkungen:
Futteraggression, schnelles Herunterschlingen von allem, was irgendwie nach
Nahrung aussieht. Gereiztheit und Aggressionen durch Dauerstress.
Ich finde, ein Hundehalter sollte über die Risiken
informiert werden, wenn man ihm zu etwas rät. An dieser Stelle von ganz anderen
Aspekten, wie dem respektvollen Umgang mit dem empfindungsfähigen Lebewesen
Hund, mal abgesehen.
Insgesamt vertrete ich persönlich die Meinung, dass
die gezeigte Methode kurzfristig, vielleicht für einen Videodreh, erfolgreich
aussieht. Die möglichen, gravierenden Nebenwirkungen sind aber ein guter Grund
dafür, sich solche „Trainingsmethoden“ mal genauer anzuschauen, sich auch mal
etwas Wissen über Hundeverhalten an sich (vermeintliche Futterrangordnungen etc.)
anzueignen und sich mit den weitreichenderen Konsequenzen (Schlingen,
Dauerstress…) auseinanderzusetzen.
Andere Möglichkeiten vorhanden
Wie ich verhindere, dass Hunde alles aufnehmen?
Nun, ich trainiere mit Hunden immer ein Signal, bei dem Sie alles fallenlassen,
was sie in der Schnauze haben. Das mache ich z. B. über reines Konditionieren –
im Prinzip genau wie der Mann in dem Video. Nur anders, freundlicher umgesetzt.
Die Hunde lernen, dass, wenn das bestimmte Signal erklingt, ich von unserem
Standort aus in eine andere Richtung ganz leckeres Futter werfe. Etwas, was es
sonst nicht oft gibt, was der Hund aber ganz besonders liebt. Er verknüpft also
mit dem einen Signal, was nur dafür verwendet wird, dass es ganz tolles Futter
auf jeden Fall gibt. Er hört es, schaut zu meiner Hand und der Wurfrichtung –
und folgt dieser dann und kann in Ruhe fressen. Die andere Sache, die er
vielleicht gerade aufgenommen hatte oder antesten wollte, vergisst er. Er lässt
von ihr ab, vergisst, dass es Futter sein könnte. Weil auf das Signal sicher
Futter folgt – und dazu ein ganz besonderes. Das muss natürlich so
konditioniert werden, dass es „sitzt“. Und man muss dann das Futter nicht immer
dabeihaben. Das Signal wirkt im Notfall auch so, um den Hund vom Unerwünschten
abzubringen. Man muss nur hinterher die Verknüpfung wieder verstärken.
Kind und fremder Hund werden sympathisch
Das ist eine Möglichkeit – man muss dabei
allerdings immer individuell handeln und trainieren. Aber die Nebenwirkungen
sind bei dem aufgezeigten Beispiel gering. Ich konnte eigentlich noch keine
negativen Nebenwirkungen feststellen. Im Gegenteil – anstatt Stresshormone
durch Leinenruck zu erzeugen, also negative Gefühle, erzeuge ich im Hund eine
Vorfreude beim Erklingen des Signals. Vorfreude auf die Nahrung. Ich erzeuge gute
Gefühle. Und bei guten Gefühlen kann auch ruhig ein Kind oder ein anderer Hund
ins Sichtfeld des Hundes huschen. Verknüpft mit guten Gefühlen werden Kind und
Hund doch gleich sympathisch. Und unser Hund ist nicht so gereizt, als wenn er
unter Dauerstress bzgl. eines möglichen Leinenrucks leben muss.
Fraglicher Nutzen. Und Gefahren können erhöht
werden
Natürlich gibt es noch einige mehr Möglichkeiten,
wie man Hunde beibringen kann, wie sie von etwas ablassen. Mir war es hier nur
wichtig aufzuzeigen, welche Nebenwirkungen gerade die in dem Video gezeigte „Leinenruckmethode“
mit sich bringt. Und, wie schon erwähnt, halte ich diese Informationen für sehr
wichtig. Damit der Hundehalter weiß, dass dadurch die Gefahr für die Aufnahme
unerwünschter, ungesunder Nahrung erhöht werden kann. Der Nutzen also sehr
fraglich ist, die Nebenwirkungen aber immens sein können….