Bedrohliche Spezies hat seine Biotope verlassen
Irgendwie haben wir Menschen ja vor allem Angst. Wenn wir
nicht ständig auf der Hut sind und Maßnahmen ergreifen, werden wir schon bald
vom Untergang bedroht sein. Was uns nicht alles bedroht: Unerzogene Hunde, Wölfe,
Waschbären, Luchse, Herkulesstauden, Maulwürfe, Krähen, Elstern, Tauben – eine Armee
von Tieren und Pflanzen, die kurz davor steht, die Herrschaft über die Welt zu
übernehmen und die Menschheit zu versklaven – wenn wir sie nicht gnadenlos „regulieren“.
Ja, unsere Angst ist schon berechtigt. Gerade bauen Tauben ein Nest direkt an
meinem Balkon. Vermutlich nur ein Schritt auf dem Weg, mich aus dem Haus zu
jagen…
Bei all den grausamen Monstern, die uns bedrohen, übersehen
wir fast die Gefahr von einer anderen Spezies. Die es zwar immer schon bei uns
gab, die sich aber seit ca. 20 Jahren stark vermehrt und seit sechs oder sieben
Jahren fast explosionsartig über uns herfällt.
Agierte diese Spezies früher eher in abgegrenzten Biotopen
wie Kneipenstammtischen, Kaffeekränzchen oder Kleingartenlauben, hat sie nun
die weite Welt entdeckt. Die weite Welt des Internets. Und hat sich auch
evolutionär entwickelt. Der früher im Biotop ansässige Pöbler ist zum
Internetpöbler geworden. Seuchenartig verbreitet er sich über die Welt, fast
ungehindert. Jeder Regulierungsversuch ist bislang gescheitert, unter anderem
dadurch, dass die Pöbler immer wieder feige im Dickicht der Anonymität
abtauschen. Und diejenigen, die sich offen zeigen, sind meist immun gegen
jeglichen Versuch, sachlich mit Ihnen in Verbindung zu treten. Sie wissen
sowieso alles, können alles – oder zumindest können Sie Ihren Vorbildern
und/oder Gurus nach dem Schnabel reden. Und alle anderen anpöbeln…
Der Internetpöbler. Er breitet sich aus und ist kaum
aufzuhalten. Mir macht er Angst, weil er vernünftigen Austausch und sachliche
Debatten immer wieder torpediert – so weit, dass die Menschen, die interessante
Dinge zu sagen haben, immer mehr eingeschüchtert werden und nichts mehr sagen.
Schade…
Ich wünschte mir, wir würden unseren Weltuntergangs- und
Verschwörungswahn bezogen auf „unerzogene Hunde“, Wölfe und Maulwürfe nur ein
wenig auf die Internetpöbler übertragen. Denn die haben es verdient, reguliert
zu werden. Wölfe, Maulwürfe, Elstern etc. sind keine reale Gefahr, aber wir
machen Sie zu Monstern. Das echte Monster ist aber viel näher, als wir denken. Vielleicht
pöbelt es direkt neben uns in der U-Bahn. Ganz leise, ganz hinterhältig und
anonym mit den Fingern auf dem Smartphone…